 |  | Max Beckmann, Orchester, 1932 | |
Einige Werke entfalten ihre Zugkraft paradoxerweise erst durch sich wandelende Umstände und eine Neubewertung im Lauf der Zeit. 1937 wurde in München die Ausstellung „Entartete Kunst“ eröffnet, in der künstlerische Stilrichtungen wie der Expressionismus oder die Neue Sachlichkeit pauschal als „verfallen“ und „entartet“ diffamiert wurden. Gemälde von Künstlern wie Lyonel Feininger und Max Beckmann, die damals als „entartet“ galten, stehen nun an der Spitze der kommenden Auktionsrunde bei Grisebach in Berlin, darunter Feiningers „Vollersroda III“ von 1916 und Beckmanns „Orchester“ von 1932, die jeweils auf 1 bis 1,5 Millionen Euro geschätzt werden. Der Bauhaus-Meister Feininger, bekannt für seine kristalline, prismatisch zerlegte Bildsprache, setzte insbesondere Architektur und Stadtlandschaften in geometrischen Formen mit kubistisch-expressionistischen Mitteln um. Das nach Ludwig Justi „düster prachtvolle“ Gemälde „Vollersroda III“, das das Städtische Museum für Kunst und Kunstgewerbe, die heutige Moritzburg, in Halle an der Saale 1928 von Feininger für 7.500 Reichsmark ankaufte, war 1937 selbst Teil der Ausstellung „Entartete Kunst“.
Max Beckmann wurde von den Nationalsozialisten aus seiner Professur in Frankfurt entlassen und malte vor seiner Übersiedlung nach Berlin im November 1932 in Frankfurt ein letztes Mal Musikinstrumente in seinem charakteristisch kraftvollen Stil. In seinem „Orchester“ stehen die beiden in den Vordergrund gerückten, nebeneinander platzierten Instrumente – vielleicht ein stilisiertes Saxophon und ein irgendwie geartetes Banjo mit Geigenhals – fast sinnbildlich für zwei sich anlehnende Figuren, als würden sie sein Leben oder seine Stimme über das Leben ausdrücken, vor einem leeren Orchestergraben. Beckmann nimmt mit zwei weiteren Positionen am 5. Juni an den „Ausgewählten Werken“ des Berliner Auktionshauses teil. Auf seinem „Stillleben mit Skulptur“ von 1942 stehen eine dunkle männliche Büste mit Ohrringen und ein gelber Pferdekopf vor dem Fenster seines Ateliers, davor eine Vase mit bunten Blumen. Auch hier lassen Beckmanns kräftige Pinselführung sowie die bewusst vernachlässigte Perspektive und Räumlichkeit das statische Vanitas-Motiv in einer modernen Bildsprache neu aufleben (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR). Als Aquarell schuf er 1936 die etwas unübliche Zusammenstellung „Häuser vor Segelbooten“ mit einer unscheinbaren Motivwelt ohne viel Hintersinn (Taxe 100.000 bis 150.000 EUR).
Eine kapitale Berliner Sammlung
Für seine Auktion konnte Grisebach zahlreiche Schätze der klassischen Moderne in Deutschland, aber auch der jüngeren Kunstgenerationen auftun und lädt laut eigener Aussage zum umfangreichsten Angebot einer Sommersaison seit über zwei Jahrzehnten ein. Für die über 500 Positionen, die am 5. und 6. Juni in Berlin zum Aufruf kommen, liegt die untere Schätzpreissumme bei rund 20 Millionen Euro. Herausragend ist dabei eine Berliner Privatsammlung, die Grisebach nach 40jähriger Verbundenheit, zum Verkauf übergeben wurde. Neben Feiningers „Vollersroda III“ und Beckmanns „Orchester“ gehört dazu auch Emil Noldes intensiv leuchtendes, pastos aufgetragenes Blumenbild „Feuerlilien und Rittersporn“ von 1920. Obwohl Nolde dem Nazi-Regime gegenüber Sympathien hegte, zeigte sich, dass sein farbintensiver, emotionaler Stil nicht dem Ideal der „reinen“ deutschen Kunst entsprach und daher von den Nationalsozialisten als „entartet“ diffamiert wurde. Die „Feuerlilien und Rittersporn“ beweisen dies eindrucksvoll – kräftiges Pink, Zinnoberrot und Violett dominieren die Leinwand (Taxe 900.000 bis 1,2 Millionen EUR). Marktfrisch kommt von Nolde das dunkle Stillleben „Kopfjäger mit Georginen“ von 1920 zum Aufruf, das der Expressionist 1927 dem Kunsthändler Rudolf Probst zum Dank für die Organisation der Jubiläumschau zu seinem 60. Geburtstag schenkte und seither in dessen Familie weitergereicht wurde (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR).
Eindrucksvoll ist von Nolde zudem die druckgrafische Arbeit „Junge Dänin“. Die Lithografie von 1913 liegt in drei unterschiedlichen Farbfassungen vor, mit denen es Nolde möglich ist, dem frontalen Gesicht jeweils einen anderen Charakter zu geben (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Hervorzuheben ist zudem die Radier- und Aquatinta-Kombination „La Femme au tambourin“, mit der Pablo Picasso 1939 seine Geliebte und Muse Dora Maar als Tänzerin im Kontrapost verewigte. Obwohl sie im Vergleich zu der berühmten „Weinenden Frau“ weniger bekannt ist, gehört das Blatt mit der mehransichtig zergliederten nackten Gestalt zu den Inkunabeln der Druckgrafik des 20. Jahrhunderts und fordert entsprechend 500.000 bis 700.000 Euro. Aus dem Erbe der Kunsthändlerfamilie Probst stammt noch Alexej von Jawlenskys „Abstrakter Kopf: Komposition Nr. 10“ um 1924, der sich in harmonischen Farben meditativ mit geschlossen Augen über den Karton ausbreitet (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR).
Zurück zu den Highlights der Berliner Sammlung: Denkt man an das Bauhaus in Deutschland, dürfen bestimmte Künstler nicht fehlen. Zu ihnen zählen der gebürtige Russe Wassily Kandinsky, der mit Punkt, Linie und Fläche ein neues Kapitel der abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts aufschlug, und sein Freund Paul Klee. Beide lehrten als Professoren am Bauhaus, entwickelten Theorien, hielten Vorträge und schufen bedeutende Werke. Kandinskys „Hauptblau“ von 1931 macht dies exemplarisch deutlich: Klar definierte geometrische Formen aus Kreisen, Kreissegmenten, Rechtecken und Dreiecken treffen zusammen mit Aquarell und Gouache, teils in Spritztechnik, auf gelbem Papier aufeinander und ergeben ein kosmisches Gefüge (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Paul Klee, der auch als Dichter hervortrat, lässt auf seiner Zeichnung „Wind von links unten“ seine charakteristisch feinen und poetischen Linien sprechen. Auf einem in zartem Rosa verlaufenden Hintergrund entfalten sich intuitiv Symbole und Zeichen: Ein Pfeil scheint hier die Richtung des Windes anzudeuten und einen Ritter in grotesker Rüstung von der Treppe geblasen zu haben (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Wassily Kandinsky liebte die Farbe Blau, Franz Marc hatte eine besondere Vorliebe für Pferde. Aus diesen persönlichen Neigungen entstand 1911 die expressionistische Künstlergruppe „Der Blaue Reiter“. Franz Marc widmete sich dabei häufig der Tierwelt als einem Ausdruck echter Gefühle. In seiner zart aquarellierten Zeichnung „Vögel über dem Dorf“ von 1913 betonte er statt einer realistischen Wiedergabe bestimmte Aspekte und vereinfachte die Formen, um eine emotionale Wirkung über den Pinsel zum Ausdruck zu bringen und eine kosmische Vision vom Paradies zu geben (Taxe 400.000 bis 600.000 EUR). Marc stand in engem Briefkontakt mit seinem Künstlerfreund August Macke, der für seine kräftigen Konturen bekannt war. Macke bevorzugte eine gegenständliche Darstellungsweise, die nah an der Realität blieb, und setzte auf leuchtende klare Farben. In der aquarellierten Rohrfederzeichnung „Paukenschlagender Mohr“ von 1912 steht ein Pferd mit Reiter im Zentrum, gefolgt von einer weiteren Reitergruppe im Hintergrund. Orange, Gelb, Grün, Blau und Rot sind hell und punktuell aufgetragen und damit typisch für Mackes farbenfrohen Stil. Neben Marc stammt auch Mackes Arbeit aus der Berliner Sammlung und verlangt 180.000 bis 240.000 Euro.
Vollendet?
Kann Unvollständigkeit eine Form von Vollendung sein? Der deutsche Maler und Bildhauer Günther Förg bricht die Formen der Moderne auf und rekonstruiert sie auf raue Weise. Einfache Gitter-, Tupfen- oder Bleibilder bilden die Struktur seiner Gemälde. Auch auf einer Leinwand von 2007 hat er wiederholt einfache Farbflecke aufgebracht, die an Kritzeleien erinnern, mit denen man vor dem Kauf einen Kugelschreiber testet. Das minimalistische, titelose Gemälde soll 400.000 bis 600.000 Euro einspielen. Ist dagegen das vollständige Ausfüllen der Bildfläche mit Farbe gleichbedeutend mit Vollendung? Ernst Wilhelm Nay setzte die Farbe selbst als Hauptgegenstand seiner Malerei ein und füllte die Leinwand mit farbigen Flächen, die zu einem rhythmischen Gesamtbild verschmelzen. Auf seinem Scheibenbild „Epsilon“ von 1959 lässt er unterschiedlich große Kreise in den nuancierten Tönen Gelb, Rot, Nachtblau, Weiß und Grün, die wie Blütenblätter die Leinwand bedecken, ineinander übergehen und vermittelt dabei ein hohes Maß an Energie (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR).
Das Werk „21.7.50-Saint-Jeoire – Montagne jaune“ des chinesisch-französischen Künstlers Zao Wou-Ki fällt durch sein grelles Gelb auf, das die linke Seite des Leinwandkartons dominiert. Dazu hat er Bergketten und Bäume wie schmale Silhouetten skizziert. Das intensiv frische Gelb, das über die Bergsilhouetten verwischt ist, erinnert an die Herkunft des Künstlers aus China (Taxe 250.000 bis 350.000 EUR). Etwa Mitte der 1960er Jahre setzte Markus Lüpertz seinen Bildtiteln das Wort „dithyrambisch“ hinzu, entlehnt aus der antiken Chorlyrik. Die Gegenstände in seinen dithyrambischen Bildern sind neutral und möglichst frei von naturgebundenen Assoziationen, sind vielmehr fantasievolle Insignien der Natur wie der „Baumstamm, dithyrambisch“ von 1968, den Lüpertz übertreiben vergrößert und ihn dadurch zugleich dramatisch und verfremdend erscheinen lässt (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR). Ohne äußere Bezüge ist hingegen Katharina Grosses schwingendes Farbenspiel auf einer großformatigen Leinwand des Jahres 2014, bei der sie die Dynamik durch die ausgereifte Sprühtechnik ihrer Malbewegung erzeugt (Taxe 180.000 bis 240.000 EUR).
Die monumentale, über vier Meter Breite Aluminiumskulptur „Flora“ wirft eine postmoderne Frage danach auf, was eine Skulptur eigentlich sein sollte. Entgegen ihrem Titel nimmt Franz Wests himmelblaue, in den Raum greifende Wurstschlange die Form einer Pflanze nicht an, sondern lädt vielmehr zum Sitzen oder Liegen ein (Taxe 600.000 bis 800.000 EUR). Im Gegensatz dazu stehen die Arbeiten von Baltasar Lobo, dessen Skulpturen weich und organisch sind und oft den weiblichen Körper thematisieren. So verzichtete er bei seiner schwarz patinierten Bronze „Pièce d’eau sur socle“ von 1971/86 auf Kopf, Arme und sogar Unterschenkel, blieb dabei schlicht und betonte die Rundung und das Volumen, ohne den Körper zu überzeichnen (Taxe 300.000 bis 400.000 EUR). Auch für Skulpturen konnte sich die Berliner Sammlung erwärmen und legte sich etwa die überlebensgroße volumenbetonte Skulptur „Große Liegende“, ein von etruskischer Grabplastik inspiriertes Hauptwerk von Karl Hartung aus dem Jahr 1951 (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR), die filigrane kinetische Edelstahlplastik „Two Lines Up Oblique“ von George Rickey aus dem Jahr 1977 (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR) oder Wilhelm Lehmbrucks expressiven und innigen Steinguss „Mutter und Kind“ von 1918 zu (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR).
Böse Zwerge
In das diesmal gut bestückte Skulpturenangebot entsendet die Moderne weitere Objekte, darunter Georg Kolbes „Totentanz“ von 1923. Der nackte weibliche Bronzeakt mit schlanken, über dem Nacken gekreuzten Armen scheint die Kontrolle über seinen Körper verloren zu haben. Denn die Beine versagen den Dienst und sind bereits angewinkelt, als wollten sie gleich zusammenbrechen (Taxe 90.000 bis 120.000 EUR). Als Bilderhauerin macht noch die 1897 in Weimar geborene Lili Gräf auf sich aufmerksam, die um 1930 ein eng umschlungenes, einander zugewandtes Liebespaar aus einem Holzblock schlug (Taxe 15.000 bis 20.000 EUR). Der britische Künstler Damien Hirst geht bei seiner Sterlingsilber-Skulptur „Purity – The Dream is Dead“ mit dem Untertitel „The Virgin Mother“ provokativer vor. Bei der nackten Frau von 2007 hat sich wie bei einem medizinischen Anschauungsexemplar die Haut abgelöst und legt auf der einen Körperhälfte die Muskeln, die Unterhaut, die Brust und einen ungeborenen Fötus frei. Damit hinterfragt Hirst das Ideal der Jungfrau Maria als Symbol für Unschuld und Unberührtheit (Taxe 40.000 bis 60.000 EUR). Ab 2009 tauchen in Paul McCarthys Schaffen die Figuren der „White Snow Dwarfs“ auf. Entnommen dem Märchenklassiker „Schneewittchen“, die wie die Titelfigur für eine verkommene, sexualisierte und treibgesteuerte Version der Geschichte stehen, so auch der „White Snow Dwarf (Sneezy)“ aus dem Jahr 2010. Dem setzt Tracey Emin ihre in Pink leuchtende Neonbotschaft mit Endzeitstimmung „Meet me in Heaven I will wait For You“ von 2004/11 entgegen (Taxe je 100.000 bis 150.000 EUR).
In die Kunst des 19. Jahrhunderts hat Grisebach eine sächsische Privatsammlung mit zwanzig Losen integriert, darunter exquisite Zeichnungen von Caspar David Friedrich, wie seine lavierte „Kirche in Lyngby“ um 1795/97 (Taxe 70.000 bis 90.000 EUR) oder das ebenso zart aquarellierte Blatt „Gotisches Backsteingebäude und kleine Baumstudien“ von 1809 (Taxe 200.000 bis 300.000 EUR). Aus Friedrichs künstlerischem Umfeld gruppieren sich darum etwa Carl Gustav Carus’ „Elbinsel bei Mondschein“ um 1844 (Taxe 150.000 bis 200.000 EUR) und seine gleichfalls stimmungsvolle „Ruine in Pillnitz über den Weinbergen“ um 1835 (Taxe 50.000 bis 70.000 EUR), Johan Christian Dahls zurückhaltende Papierarbeit „Elblandschaft nahe Dresden“ von 1851 (Taxe 30.000 bis 50.000 EUR) oder Johann Anton Castells waldige Landschaft mit Blick auf Dresden in der Ferne unter Abendlicht (Taxe 6.000 bis 8.000 EUR). Mit einer Rarität aus der Renaissance geht es noch einmal zu den „Ausgewählten Werken“: Die Kreidestudie eines gehenden Mannes von Jacopo Carucci, genannt Pontormo, wurde erst Mitte der 1990er Jahre dem Florentiner Meister zugeschrieben und als solche 2016 bei der Ausstellung „Maniera – Pontormo, Bronzino und das Florenz der Medici“ im Städel Museum präsentiert. Eine hessische Privatsammlung trennt sich nun von dem dynamisch ausformulierten Akt und will dafür 250.000 bis 350.000 Euro sehen.
Die Auktion beginnt am 5. Juni um 14 Uhr mit der „Kunst des 19. Jahrhunderts“, ab 18 Uhr folgen die „Ausgewählten Werke“. Eine Vorbesichtigung ist bis zum 3. Juni täglich von 10 bis 18 Uhr, am 4. Juni von 10 bis 15 Uhr möglich. Der Internetkatalog listet die Objekte unter www.grisebach.com. |