Neuer Berliner Kunstverein zeigt Ghislaine Leung  |  | Fotografie von Ghislaine Leung | |
Ghislaine Leung präsentiert in der Schau „Reproductions“ im Neuen Berliner Kunstverein erstmals „neue Werke“. Ausgehend von einem streng konzeptuellen und zugleich persönlichen Ansatz setzt sich die 1980 geborene britische Künstlerin in einer Reihe von „Scores“, von schriftlichen Handlungsanweisungen, mit den administrativen, finanziellen und infrastrukturellen Prozessen des Ausstellens auseinander. „Durch Gesten des Rückzugs und der Verweigerung legt Leung den Fokus auf die reproduktiven Aspekte institutionellen Arbeitens, die maßgeblichen Einfluss auf das Ergebnis künstlerischer Produktion und Rezeption nehmen, jedoch meist unsichtbar bleiben“, erklärt Kuratorin Layla Burger-Lichtenstein.
Leungs Ausstellung macht deutlich, dass die künstlerische Produktion in eine Reihe von Vorgängen und Abhängigkeiten institutioneller, individueller und sozialer Art eingebettet ist. Das institutionelle Handeln selbst unterliegt zahlreichen Bedingtheiten. Leung nutzt eine Herangehensweise, die diese Abhängigkeiten als Material versteht, das es zu formen und auszugestalten gilt. Seit 2015 basieren ihre Werke überwiegend auf „Scores“, deren Umsetzung der Kunstinstitution und ihren Mitarbeiter*innen überlassen wird. Ghislaine Leung verzichtet damit bewusst auf Kontrolle und öffnet damit ihr Werk. Sie erkennt die bestehende institutionelle Arbeit von der Verwaltung über das Kuratieren bis hin zur Ausstellungsgestaltung an, die die künstlerische Produktion maßgeblich prägt.
Ihre Scores erlauben es ihr, sich den gängigen Erwartungshaltungen an Künstler*innen zu entziehen: So arbeitet sie ohne externes Atelier und Kunstlager, verzichtet auf Kunsttransporte, nimmt weder am Aufbau noch an der Eröffnung ihrer Ausstellungen teil und erscheint nicht auf Pressebildern. Diese und weitere Selbstinstruktionen, die Ghislaine Leung als „Sub-Scores“ bezeichnet, werden von ihr genutzt, um die eigene Praxis sowohl wirtschaftlich als auch emotional nachhaltig zu gestalten. Leungs Handlungen weisen nicht nur das Diktum individualisierter Produktivität zurück, sie schaffen zugleich Kapazitäten für andere Aufgaben in ihrem Leben, etwa für ihr Kind zu sorgen und ihre bezahlte Arbeit aufrechtzuerhalten. Damit kann sie auch weiterhin als Künstlerin tätig sein.
Viele von Leungs „Scores“ können mithilfe eines simplen Eingriffs oder Objekts aktiviert werden. Trotz ihrer Einfachheit provozieren die Instruktionen eine Reihe von Anschlussfragen und Aushandlungsprozessen. Sie bringen Institutionen etwa dazu, offenzulegen, wie sie ästhetische Entscheidungen treffen und Produktionsbedingungen festlegen. Letztlich müssen sie derart die Verantwortung für ihren Anteil an der Materialisierung des Werkes übernehmen. Leungs Ansatz macht jene Aspekte des Ausstellens anschaulich, die unsere Wahrnehmung leiten, ohne selbst sichtbar zu werden. Die Künstlerin fragt danach, wie institutionelle Normen verinnerlicht und durch unsere Handlungen reproduziert werden. Diesen Kreislauf stört Leung gezielt, indem sie Vertrauen an die Stelle künstlerischer Kontrolle setzt und sich zugunsten eines generativen Prozesses von etablierten Regeln des Kunstsystems verabschiedet. Sie legt durch den eigenen Rückzug nicht nur offen, wie gearbeitet wird, sondern auch, welche Art Arbeit verborgen bleibt und weshalb.
Die Ausstellung „Ghislaine Leung. Reproductions“ läuft bis zum 3. August. Der Neue Berliner Kunstverein hat täglich außer montags von 12 bis 18 Uhr, donnerstags zusätzlich bis 20 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Neuer Berliner Kunstverein
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