 |  | Marc Chagall, La Branche, 1976 | |
Es ist schon geschickt, die jährliche Auktion mit großen Künstlernamen des 20. Jahrhunderts an den Beginn der Biennale von Venedig und zeitgleich mit der Art Basel zu legen. So können die von weither angereisten Besucher der Kunstschau, die sich von der Lagunenstadt aus zur Kunstmesse an den Rhein aufmachen, kurz einen Abstecher in Bern einlegen und bei Kornfelds exquisitem Auktionsangebot mit rund 1130 Losnummer zulangen. Quasi als Extrakt aus dem Gesamtbestand mit Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts versammelt der Katalog Teil I die hochwertigen Stücke, 150 in der Zahl. Die typische Malerei 19. Jahrhundert ist schnell abgehandelt. Hier gilt es lediglich die beiden Bildnisse von Maria Heuberger-Rüfenacht und Hans Heuberger von 1899, die Albert Ankers Porträtkunst vortrefflich schildern (Taxe 200.000 SFR), und Rudolf Kollers heiter sonnige Landszene „Viehhändler mit Kuh und Flachsbrecherinnen in Meiringen“ von 1867 zu erwähnen (Taxe 60.000 SFR).
Drei Sternchen hat die Galerie Kornfeld für Marc Chagalls großformatige Leinwand „La Branche“ vergeben, will sagen, dass man dafür einen hohen Preis - wohl über eine Million Franken - erwartet. Chagall, der das verträumte Meisterwerk mit einem weiblichen Akt in einem blühenden Baum und der Ansicht des südfranzösischen Städtchens Saint-Paul 1976 kurz vor seinem 90. Geburtstag schuf, arbeitete im hohen Alter meist nur in mittleren und kleinen Formaten. Nur noch selten entstanden Gemälde wie „La Branche“ mit einer Höhe von knapp 1,5 Metern. Dass man mit der hohen Erwartung bei Kornfeld nicht falsch liegt, zeigt ein Rückblick auf die Auktion im vergangenen Jahr. Dort wurde das noch etwas größere Werk „Le Village en Fête“ von 1978 von einem Schweizer Händler mit 1,65 Millionen Franken bedacht. Geschätzt war es nur auf 600.000 Franken. Ergänzt wird „La Branche“ durch das winterliche „Le Traîneau sur Sils-Maria“, eine Arbeit in Aquarell und Deckfarben auf Papier von 1960 (Taxe 300.000 SFR), oder dem beinahe monochromen „Bouquet sur Fond bleu“ um 1975, auf dessen blauer Nachtansicht von Witebsk lediglich vereinzelte Blüten und eine schwebende Kuh Rot aufleuchten (Taxe 125.000 SFR).
An Chagalls Spitzenlos schließt sich mit einer Schätzung von 600.000 Franken die heitere „Landschaft in Orange, mit braunen Tiefen strenge Farbenrhythmik“ von 1920 an, die Paul Klee in seiner Weimarer Bauhauszeit mit dem selten gewordenen Vermerk „S.Kl“ für „Sonderklasse“ auszeichnete. Auch sie steht nicht allein und wird von dem ebenfalls als Aquarell ausgeführten „Kultivierten Berg“ von 1924 (Taxe 400.000 SFR) oder dem schwarzen Strichmännchen „Schildman“ von 1940 (Taxe 80.000 SFR), einer der letzten malerischen Äußerungen Klees, begleitet. Den dritten Platz in der Bewertungsskala nimmt mit 500.000 Franken Egon Schieles Aquarell „Mädchen mit Schirm“ aus dem Kriegsjahr 1916 ein, als Schiele meist als Schreiber in Gefangenenlagern ununterbrochen Militärdienst zu leisten hatte.
Auch sonst beherrscht der Expressionismus die Auktion. Um 1913 brachte Otto Mueller einen Jüngling und ein Mädchen ausgewogen und klassisch in „Paar mit grünem Fächer“ auf den Rupfen auf (Taxe 450.000 SFR). In die Gruppe der etwa 30 Bilder, die Ernst Ludwig Kirchner in den letzten beiden Lebensjahren zwischen 1936 und 1938 malte, gehören die „Blumen vor Batiks“, die vor dem beinahe schwarzen Hintergrund farbintensiv aufstrahlen (Taxe 250.000 SFR). Eine für Kirchner charakteristische Szene beschreibt er in der ausgearbeiteten, farbigen Kreidezeichnung „Zwei Frauen, in einem Variete in Dresden“ von 1907/08 mit immerhin 88 Zentimetern Breite (Taxe 200.000 SFR). Noch in einem bürgerlichen Milieu ist die Bleistiftzeichnung „Beim Lampenlicht nähende Frau“ von Käthe Kollwitz angesiedelt. Doch schon in dieser frühesten erhaltenen Zeichnung von Kollwitz, die sie 21jährig um 1888/89 fertigte, macht sich ihre sozialkritische Haltung bemerkbar (Taxe 50.000 SFR).
Erich Heckel steuert dann das Stillleben „Pfingstrosen und Lupinen“ von 1916 bei (Taxe 175.000 SFR), der einzige Schweizer unter den Brückekünstlern, Cuno Amiet, beispielsweise den sonnendurchfluteten „Obstgarten auf der Oschwand“ von 1931 (Taxe 150.000 SFR) oder das grüne „Feld mit Mohn- und Kornblumen“ von 1929 (Taxe 100.000 SFR), und die dem Blauen Reiter nahestehende Marianne von Werefkin die ausdrucksstarken alten „Talmudleser“ um 1924, deren Zimmer ganz in ein grün-blaues Licht getaucht ist (Taxe 20.000 SFR). Der Berner Maler Werner Neuhaus geriet 1923 durch die Baseler Ausstellung von Werken Kirchners in dessen Einfluss, was man gut an „St. Jakob an der Birs“, einer Landschaft mit fallenden Fluchtlinien, ablesen kann (Taxe 30.000 SFR).
Auch in diesem Jahr fehlen bei Kornfeld herausragende Blätter impressionistischer und expressionistischer Druckgrafik nicht. Nur drei Exemplare des ersten Zustandes sind bisher von Edgar Degas’ Radierung „Manet assis, tourné à gauche“ von 1864/65 bekannt, was den hohen Schätzpreis von 150.000 Franken erklärt. Paul Gaugin ist mit zwölf Holzschnitten aus der Bretagne und der Südsee vertreten, darunter das schöpfungsmythologische Blatt „L’Univers est créé“ von 1893/94 (Taxe 40.000 SFR) oder der Weiblichkeit huldigende „Soyez amoureuses, vous serez heureuses“ von 1898 (Taxe 60.000 SFR). Die meist englischen Sängerinnen, die in der Matrosenkneipe „Star“ in Le Havre auftraten, hielt Henri de Toulouse-Lautrec bei einem Besuch in der Hafenstadt 1899 in vier verschiedenen Lithografien fest. Eine offenherzig Bekleidete von ihnen will mit 60.000 Franken umworben werden. Und die selten vollständige, zehnteilige Folge der symbolistischen Holzschnitte „Intimités“ von Felix Vallotton gibt es für 125.000 Euro.
Meist höher liegen die Taxen für die Blätter des Expressionismus. Das markante „Selbstbildnis mit steifem Hut“, das Max Beckmann 1921 mit der Kaltnadel radierte, gilt als Meilenstein in der deutschen Grafik der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Taxe 150.000 SFR). Sein Holzschnitt „Gruppenbildnis Eden Bar“ von 1923 liegt mit 225.000 Franken sogar noch darüber. Ein weiteres Exemplar von Erich Heckels exemplarischem Farbholzschnitt „Stehende Fränzi - Stehendes Kind“ von 1910 ist eben erst bei der Villa Grisebach für 120.000 Euro ersteigert worden. Bei Kornfeld soll der Druck in Schwarz, Grün und Rot 200.000 Franken bringen. Von Ernst Ludwig Kirchner versammelt der Katalog gleich mehrere druckgrafische Arbeiten, darunter die beiden vertikal angelegten Holzschnitte „Kopf Henry van de Velde, hell“ (Taxe 60.000 SFR) und „Kopf Ludwig Schames“ von 1918 (Taxe 125.000 SFR). Ein weiteren bärtigen, diesmal aber typisierten Männerkopf hielt Emil Nolde in dem Holzschnitt „Prophet“ von 1912 fest (Taxe 50.000 SFR). Und grandios vollendet Edvard Munch mit der Lithografie des traurig und abwesend blickenden „Kranken Mädchens“ die Reihe expressionistischer Erzeugnisse (Taxe 200.000 SFR).
Auch Kunst aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts findet sich im Katalog. Den Auftakt machen die 20 farbfrohen Illustrationen zu „Jazz“ von Henri Matisse aus dem Jahr 1947 für 250.000 Franken. Die 1950er Jahre halten eines der Hauptwerke Fritz Glarners, das an Mondrian erinnernde „Relational Painting 1953, #65“ mit blauen, roten und gelben, beinahe rechteckigen Farbflächen vor (Taxe 200.000 SFR), und außerdem Jean-Paul Riopelles gestisches „Nios“ von 1959 (Taxe 70.000 SFR) oder Sam Francis’ von einem Baum abstrahierte Gouache mit Aquarell „Yellow Green“ von 1954/55 (Taxe 200.000 SFR). Jünger Datums sind die beiden fotorealistischen, großformatigen Holzschnitte „Natscha. III“ von Franz Gertsch in unterschiedlichen Grüntönen aus dem Jahr 1986 (Taxe je 60.000 SFR) oder Ben Vautiers konzeptionelle zweiteilige Leinwandarbeit „Suiza no existe – Je pense donc je suisse“, die 1992 auf der Weltausstellung in Sevilla zu einem Sturm im Wasserglas konservativer Schweizer Kreise führte (Taxe 40.000 SFR).
Der Katalog „Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Teil II“ umfasst insgesamt gut 900 weitere Losnummern und offeriert einen weiten Fundus vor allem an Grafikblättern, angefangen bei Goya bis in die Gegenwart. Auch Autografen sind dort verzeichnet, wie das Konvolut mit 21 Briefen Emil Noldes für 30.000 Euro. Ein eigener kleiner Katalog mit 54 Losen ist Hermann Hesse gewidmet. Die Gedichte, Aquarelle, Briefe, Prosastücke und weiteren Dokumente stammen aus einer Berner Privatsammlung.
Die Auktionsfolge beginnt am 19. Juni um 9:15 mit dem Katalog „Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Teil II“ und wird nach der Mittagspause um 14:15 und am 20. Juni um 9:15 Uhr fortgesetzt. Um 11 Uhr folgt dann der Sonderkatalog „Hermann Hesse“. Den Abschluss bildet dann am 20. Juni um 14:15 Uhr der Hauptkatalog „Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Teil I“. Die Vorbesichtung ist bis zum 18. Juni täglich von 10 bis 18 Uhr möglich.
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