Die Differenz in der künstlerisch-gedanklichen Grundauffassung zweier Maler der Moderne lässt sich nicht zuletzt anhand ihrer Wahrnehmung des Wegbereiters der Moderne, Paul Cézanne, festmachen: „Einer der Impressionisten, Cézanne (1839-1906), erkannte klar, was der alten Malerei abging. Er spürte die Notwendigkeit einer neuen Zeichnung, die mit der modernen Farbauffassung in Einklang zu bringen war. Er und Manet ... - beide waren Maler des Übergangs“, so Fernand Léger in dem 1913 erstveröffentlichten Text „Was stellt das dar...“. Dagegen äußerte Max Beckmann: „… Cézanne ist es gelungen, einen exaltierten Courbet, einen mysteriösen Pissarro und, zum Abschluß, eine gewaltige neue Bildarchitektur zu schaffen. … Cézanne steht gleichberechtigt neben Piero della Francesca, Uccello, Grünewald, Orcagna, Tizian, Greco, Goya und van Gogh steht.“
Max Beckmann ist jenseits seiner Sympathie für Cézanne von einer nordisch- malerischen Bildauffassung geprägt. Zu seinen Vorbildern zählen unter anderen Goya, Rembrandt und van Gogh. Zeitlebens findet eine Auseinandersetzung mit den Gnostikern statt, die er als „einzige amüsante Kosmogonie, die ich kenne“ bezeichnet. Die seit der Renaissance tradierte Vorstellung der malerischen Raumillusion kommt auch bei Beckmann noch zum tagen: „Nur aber da zeigt sich die höchste Kraft der Suggestion, wo Naturgefühl und Bildfläche zu einer Einheit zusammengewachsen ist, die die Illusion des Raumes in der Fläche gibt. Die Metaphysik des Stofflichen.“
Dagegen ist Malerei für Léger ein Bezugssystem aus Volumen, Linie und Farbe: „Die sattsam bekannte Frage nach dem Sujet, nach der nachzuahmenden Natur, vergewaltigt den Sinn für die bildnerischen Werte ... Ursprung dieser Konfusion ist in der italienischen Renaissance zu suchen, die sich mehr als frühere Zeiten der bloßen Imitierung verschrieben hat.“ Für ihn ist die Malerei ein visuelles Widerspiegeln äußerer, nicht innerlicher Lebensumstände. Psychologische Gestimmtheiten haben in Légers Malerei keinen Platz: „Gebogenen Linien stelle ich gerade gegenüber, planen Flächen plastische Formen und den reinen Lokalfarben fein nuanciertes Grau. Ob sich diese bildnerischen Grundformen vorgegebenen Elementen einpassen oder nicht, ist für mich lediglich eine Frage der Abwechslung und Vielfalt, sonst aber ohne Bedeutung.“
Die Bilder der beiden Maler stellt das Kölner Museum Ludwig noch bis Ende August in der Schau „Max Beckmann – Fernand Léger: Unerwartete Begegnungen“ vereint aus. Bei der Gegenüberstellung der beiden Maler handelt es sich nach Museumsdirektor Kasper König um eine „volksnahe Ausstellung, die jeder versteht, der bereit ist zu sehen“. Dies trifft jedoch nur ansatzweise auf formaler Ebene zu. So wurde von einem die Ausstellung vorbereitenden Team, zusammengesetzt aus Siegfried Gohr, Kasper König und Stephan Diederich die „Präsens der menschlichen Figur“, die Figur in ihrer Monumentalität, sowie die „formal ähnliche Platzierung der Figur im Format“ betont und die Bilder nach Äquivalenzen in Themenkreisen gehängt.
Was jedoch nicht zu sehen ist, - und möge sich der Betrachter auch noch so anstrengen - ist der große Unterschied im Anlass für die jeweilige Bildproduktion. Zudem gibt es auch in der Ausführung trotz grober, unter formalistischer Sicht betrachteter Ähnlichkeit genug Differenzen, auf die dankenswerter Weise im zur Ausstellung erschienenen Katalog seitens Stephan Diederich hingewiesen wird, wohingegen der ehemalige Ludwig-Direktor Gohr zuvor in einem Essay allzu bemüht versucht, ähnliches Denken der beiden Maler sprichwörtlich durch fragmentierte Léger-Äußerungen herbeizuzitieren.
Beiden Künstlern gemein ist das Reflexionsniveau, das das Fundament für die Produktion bildet. Hier sei nur auf die akribisch notierte Anschaffung von Reclam-Klassikern in den Beckmann-Tagebüchern hingewiesen oder die Aussage des deutschen Expressionisten „Kunst dient nicht der Unterhaltung, der Verklärung oder dem Spiel“. Seine Haltung zur Kunst fixierte Léger in zahlreichen Schriften. Die Wege beider Künstler laufen hier trotz formaler Äquivalenzen weit auseinander.
Nichts macht die unterschiedliche künstlerische Auffassung der beiden Maler deutlicher als der letzte Raum, in dem Beckmanns Bilder „Geburt“ und „Tod“ mit dem Ölbild „Les loisirs - Hommage à Louis David“ von Léger vis-à-vis hängen. Bei Légers „Hommage“ ist eine aus sechs Personen bestehende Gruppe annähernd in „Kreisbewegung“ miteinander verschränkt. Die Figuren erfahren eine leichte Staffelung durch in die Komposition eingefügte Fahrradräder. Zentriert verstärkt ein mit weißen Blüten versehener grüner Zweig den kreisenden Eindruck. Alles ist in Lokalfarben ausgeführt. Dagegen halten ausschließlich schwarze Linien in den Bildern Beckmanns die sich zersetzende Farbgebung zusammen. Wo die aufgebahrte Leiche schon fast eins wird mit dem Untergrund, unterscheidet sich die „Geburt“ in ihrer Düsternis kaum vom „Tod“.
So steht auf der einen Seite ein sich existentiellen Themen widmender Max Beckmann. Deutlich wird dies auch anhand einschneidender privater Lebenserfahrungen, die bildnerisch reflektiert wurden, wie der Tod von Beckmanns Mutter. „Max Beckmanns Mutter starb vier Wochen vor unserer Hochzeit ... Es entstand das Bild „Die Sterbeszene“, so Minna Tube-Beckmann. Auf der anderen Seite steht Léger als Maler des „konzeptionellen Realismus“, der einem seiner Vorgänger ein Bild widmet: „Man glaube nicht, all diese verschiedenen Schulen hätten sich wechselseitig zerstört. Im Gegenteil, sie bilden Glied für Glied eine Kette ... Auf die überfeinerte Kunst des achtzehnten Jahrhunderts mit Watteau und Fragonard gibt David eine mathematisch trockene Antwort.“
Malt Beckmann schutzlos entkleidete Leiber, die in lanzenartige Gebilde im Vordergrund eingekeilt sind, wie in der „Messingstadt“ von 1944, so sind es bei Léger die „Les danseuses aux clés“ von 1930, bei denen runde Formen zweier Körper mit konstruktiv-architektonischen Elementen kontrastieren. Während Beckmann reine Abstraktion ablehnt - „Es gibt etwas, was sich bei jeder Kunst wiederholt ... Gegenständlichkeit und Sachlichkeit der darzustellenden Dinge. Wenn man diese aufgibt, gerät man unweigerlich auf den Boden des Kunstgewerbes“ - so reflektiert Léger den Neoplastizimus als „wortlose, wesentlich statische Kunst, die sich immer ein paar wenigen Eingeweihten anbieten wird, die alles Mittelmäßige über Bord geworfen haben“.
Abschließend sei das eingangs erwähnte gemeinsame Interesse für Cézanne auch dahingehend differenziert, dass es sich bei Beckmann um den „frühen Cézanne“ handelt, der Beckmanns Konzept der „raumtiefen Malerei“ noch entgegenkam, wohingegen es bei Léger der Cèzanne ist, der seine „Sehdaten“ im Bild notierte. So macht die Ausstellung vor allem eines deutlich, dass es bei der Kunst der Moderne nicht genügt, diese buchstäblich oberflächlich zu rezipieren. Und somit sei Clement Greenbergs Aussage beigepflichtet: „Zu viele Menschen sind einfach nicht bereit, das notwendige Maß an Bescheidenheit – und an Geduld – aufzubringen, um zu lernen, wie man Kunst auf eine angemessene Weise erfährt und genießt.“ Denn Zeit benötigt es gerade bei einer Ausstellung, die zwei scheinbar so ähnliche Maler gemeinsam präsentiert. Zeit, gerade in den Nuancen und intellektuellen Differenzen die Qualität eines jeden Einzelnen der beiden Maler erfahren zu können.
Die Ausstellung „Max Beckmann – Fernand Léger: Unerwartete Begegnungen“ ist noch bis zum 28. August zu sehen. Das Museum Ludwig hat Dienstag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr, jeden ersten Freitag im Monat zusätzlich bis 23 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 7,50 Euro, ermäßigt 5,50 Euro.
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