Fernweh im "National Geographic"-Look? Die konstruierten Landschaften des norwegischen Künstlers Nils Olav Bøe in der Galerie Blickensdorff sind vermeintliche Idyllen einer romantischen Welt endloser Weiten. Zuerst wecken sie Sehnsüchte nach Ruhe, dann verstört das klinisch Saubere in ihnen
VON MATTHIAS REICHELT
Der in ein rötlich warmes Licht der untergehenden Abendsonne getauchte Wohnwagen ist der einzige Fixpunkt in einer schier unendlich weiten Landschaft. Keine Menschenseele zu sehen. Nur die Wäsche an einer zwischen Wohnwagen und einem Pfosten gespannten Leine deutet auf Bewohner hin. Flüchtig betrachtet könnte dieses ästhetisierte Bild aus einer Ausgabe der National Geographic stammen und an unser Fernweh rühren, denn überall ist es besser, wo wir nicht sind.
Doch hier ist alles Fake. Der aus Norwegen stammende Nils Olav Bøe arbeitet seit 1996 multimedial, wobei die Kamera die letzte Instanz im künstlerischen Prozess ist. In kleinen Modellen fertigt er idealisierte Landschaften, leuchtet diese sehr penibel aus, um sie dann mit möglichst geringer Tiefenschärfe auf Film zu bannen. Diese Bilder von verwunschenen Landschaften, von landwirtschaftlichen oder vorstädtischen Szenen mit einem Getreidesilo oder einem Betongebäude versehen und dann im Foto etwas kälter und grauer erscheinend, balancieren auf der Schwelle zwischen surreal und real. Im ersten Moment können sie Sehnsüchte nach Ordnung, Idyll, grenzenloser Weite und Ruhe wecken, bevor das klinisch Saubere, das Fehlen von Indizien zivilisatorischen Lebens störend in den Vordergrund gerät.
Die Ausstellung in der Galerie Blickensdorff ist die erste Präsentation von Bøe in Deutschland. Seine an Filmsettings erinnernden Bilder transportieren nicht nur einen unendlich wirkenden Raum, es scheint ihnen auch eine anderer Zeitbegriff eingeschrieben. Der Fokus ist konzentriert auf ein Zentrum, dessen Umgebung aus einem grenzen- und zeitlosen Raum zu bestehen scheint. Der laut Katalog von Tarkovsky und Lynch faszinierte und beeinflusste Künstler nutzt die Landschaft als assoziativen Ausgangspunkt für Reflexionen über Realität: Während Thomas Bernhard im Literarischen alle Naturbeschreibung strengstens vermied und alles auf das karge und eher hässliche Dasein der Menschen und ihr Interaktionen reduzierte, beschreitet Nils Olav Bøe in seinen ausgestellten und menschenleeren Bildern offenbar den entgegengesetzten Weg. Eines seiner Modelle hat Bøe mittels einer Kamera abgefilmt, um diese Kamerafahrt computergeneriert als DVD-Projektion zu zeigen. In der Filmsimulation fliegt die Landschaft vorbei, als ob man sie bei einer Auto- oder Zugfahrt wahrnehmen würde.
Ist man selbst in Bewegung, erstarrt das Statische noch mal stärker und erweckt den Eindruck von Homogenität und Modellbaulandschaft, wie wir sie von Eisenbahnen im Kinderzimmer kennen. In seinem Erstlingsroman "In Plüschgewittern" nimmt Wolfgang Herrndorf Bezug auf diese Analogie: "Es hat erschreckend viel Ähnlichkeit mit diesen Faller Modellbaulandschaften, die wir als Kinder immer zusammengesetzt haben, Häuser für 5,95 Mark mit verschiedenen Pappgardinen und Bäumen aus Islandmoos. Aber das ist ja auch kein Wunder, diese Modelle waren sehr gut."
Andere Arbeiten von Bøe, die in der Ausstellung nicht gezeigt werden, offenbaren deutlicher ihren Modellcharakter und bewahren ihre Dreidimensionalität. Kleine Inseln in Schaukästen und - diesmal - mit Menschen bevölkert. Ein Trick, der auch im Theater verwandt wird: Ein Ausschnitt der Gesellschaft wird verdichtet auf einen begrenzten und völlig überschaubaren Raum wie für eine Versuchsanordnung im Labor.
Ein Teil der zeitgenössischen jungen Kunst fängt mittels Dokumentation politische Aktionen und soziale Proteste ein, um diese Wirklichkeit wie einen performativen Akt zu begreifen und in den Ausstellungsraum zu überführen. Nils Olav Bøe repräsentiert den anderen Teil: Er baut per Modell Realitäten nach. Auch diese Verfremdung regt zu kritischen Reflexionen an, ohne jedoch eine Richtung vorzugeben.
taz Berlin lokal Nr. 7611 vom 10.3.2005, Seite 27, 133 Zeilen (Kommentar), MATTHIAS REICHELT
Biographie
Education(selection)
The National Academy of Fine Art, Oslo 1983-85
The National Academy of Fine Art, Bergen 1981-83
Vigeland Museet, Oslo, 2005
Galerie Blickensdorff, Berlin 2005
Galleri Brandstrup, Oslo 2004
Galleri Brandstrup, Oslo 2002
Galleri Olle Olson huset, Stockholm 2000
Kunstnerforbundet, Oslo 1999
Haugar Vestfold artmuseum, Tnsberg 1998
Gulp Gallery, Reykjavik 1997
stfold Art Center, Fredrikstad 1996
The Exhibitionroom USF, Bergen 1995
Galleri-K, Oslo 1993
Wang Kunsthandel, Oslo 1989
Norwegian Technical Museum, Oslo 1988/89
Henie-Onstad Art Center, Oslo 1986
Group Exhibitions(Selection)
Galleri Asbk, Copenhagen, Denmark 2004
Museu Arte Moderna, Rio de Janeiro, Brasil 2003
Husesyn, Touring the House, Uppsala Kunstmuseum 2002
Modellmakarane, kunstnernes Hus, Oslo 2000
Fellessentralen, Kunstnernes Hus, Oslo 1998
Brudd, Bergen Society of Fine Art 1996
Asosiation of Norwegian Skulptures 50th anniversary exhibition, Henie-Onstad Art Center, Oslo 1996
Steen Strm / Art in a warehouse (w. Sven Phlson), Oslo 1995
Nettopp ankommet, The National Museum of Contemporary art, Oslo 1991
U.K.S. Gallery (w. Yngve Nsheim), Oslo1991
The Baltic Stats Art Triennial, Vilnius 1990
Aurora, Scandinavian Biennial, Sveaborg, Finland 1991. Kulturhuset Stockholm 1992
Galleri F-15, Moss 1986
Galleri Rotor, Gteborg 1995
Collective Exhibitions(Selections)
The National Annual Autumn Exhibition 1982, 92, 95, 97
The Western Norway Exhibition 1984
The Eastern Norway Exhibition 1984
Purchased by Public Institutions
Statoil 2003
The national museum of contemporary art 2002
Norges Bank 2002
The Norwegian Board of Culture 1986
Public Art
Nork Hydro 2003
Hotell Refsnes Gods, Moss 2003
Huseby Kompetansesenter for svaksynte og blinde, Oslo 2000
Nye Rikshospitalet, Oslo 1999