1860 - 1949 Ostende, Belgien
Schon zu Lebzeiten war James Ensor eine Legende. Seine Räume über dem Kuriositätenladen seiner Mutter im belgischen Ostende, die er ein Leben lang bewohnte, glichen in seinen späteren Lebensjahren einem Wallfahrtsort für Künstler, Sammler und Museumsleute, die ihm ihre Aufwartung machten. Dort, inmitten seiner Bilder und Zeichnungen, über dem Harmonium sein Hauptwerk Christi Einzug in Brüssel, heute das wichtigste Werk des ausgehenden 19. Jahrhunderts im Getty-Museum, empfing er Emil Nolde, Erich Heckel, der später sein Portrait malte oder Rik Wouters, der eine Büste schuf; Wassily Kandinsky suchte ihn ebenso auf wie Albert Einstein. Der am 13. April 1860 geborene Ensor, den sowohl die deutschen Expressionisten als auch die Pariser Surrealisten als einen ihrer Vorläufer betrachteten, gilt neben Vincent van Gogh und Edvard Munch als einer der einflußreichsten Künstler der Moderne des Nordens. Dabei gilt Ensors Werk als das facettenreichste dieses nordischen Dreigestirns. Sein Stil changiert zwischen spätimpressionistischem Realismus und skurriler Groteske. Seine Fassung des Themas Die Verführung des heiligen Antonius, heute im Museum of Modern Art in New York, kann als erstes informelles Bild gelesen werden, und sicherlich würde man manche seiner traumatischen Werke zu den Vorbildern der „art brut“ eines Soutter oder Dubuffet zählen. Er schuf hinreissende Landschaften, Marinen und Stilleben, in denen die Farbmaterie zu reinem Licht wird. Wenn Cézanne als der Maler der Farben gilt, so ist Ensor der Maler des Lichtes. Aber er ist auch der „Maler der Masken“, als der er heute etwas verkürzt bezeichnet wird, und damit bezieht man sich auf seine berühmten Darstellungen von maskierten Menschenhorden, verzerrten Physiognomien lüsterner Sünder, Pierrots und dem Tod mittendrin. Ab 1886 datieren Ensors erste Radierungen, und was für die Malerei gilt, lassen auch die graphischen Blätter spüren. Lichtdurchflutete Landschaften in schwarz-weiß, groteske Masken, joviale Skelette, Menschenwogen, Todsünden und der leidende Christus, aber auch sozialkritische Szenen, Historiendramen und Umsetzungen dunkler Erzählungen von Edgar Allen Poe oder Interpretationen von Gemälden des Hieronymus Bosch und Breughel. Mit seinen Radierungen sucht Ensor die Abwechslung von der Malerei und die Verbreitung seines künstlerischen Werkes. Schon während des 2. Weltkrieges nach einem Bombenangriff auf Ostende vom englischen Radiosender BBC totgesagt - was Ensor damit quittiert, daß er seine in Ostende aufgestellte Marmorbüste mit einem schwarzen Kondolenzband versieht - stirbt er doch erst am 19. November 1949. Zum 50. Todestag feierte Belgien seinen größten Künstler der heraufkommenden Moderne mit Retrospektiven in den Museen von Brüssel, Antwerpen, Ostende. Die Galerie Hachmeister in Münster würdigte ihn mit der Präsentation seines gesamten graphischen Werkes, einer außergewöhnlichen Sammlung mit zahlreichen handkolorierten Radierungen und Zustandsdrucken. Neben diesen etwa 160 Blättern zeigte die museale Ausstellung noch einige Zeichnungen und Gemälde des Flamen aus seinem Spätwerk. Dazu ist ein umfangreiches Katalogbuch erschienen.
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