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Kunsthaus 1

Gunhild Söhn

Kunsthaus 1



Stilrichtung:: Zeitgenössische Kunst


Weitere Details:


DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN
Abteilung Tourismus präsentiert . . .

Picknick im Museum

Kunsthaus Essen, 21.10. - 20.11.2005
Ungekürzte Eröffnungsrede in vier Teilen: Es spricht die Sammlerin.


1. Teil: Gunhild Söhn

Verehrte Gäste und Gastgeber, liebe Kolleginnen und Kollegen, treue Freundinnen und Förderer meiner Sammlung!

Denjenigen, die glauben, hier Neuland zu betreten, will ich gleich reinen Wein einschenken: DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN ist eine räuberische Einrichtung. Sie versammelt Diebesgut auf höchstem Niveau und wurde dafür sogar mit einem Preis geehrt . . .

In Marx-getreuer Tradition der "Expropriation der Expropriateure" sammle ich seit dreizehn Jahren Museen wie andere Leute Bilder. Ich mache auch nicht Halt vor ihren Direktoren und anderen Protagonisten des Genres. Sie dienen mir als Drahtzieher meiner Erwerbungen, und meine ersten Sammlungsobjekte waren ihrer Funktionalisierung gewidmet, berühmte Werke der abendländischen Malerei, die ich auf ihre marginalen Bestandteile reduzierte: Messingschilder mit eingravierten Bildtiteln, aufgehängt an Drahtsilhouetten, die dem Umriß der Bildgegenstände folgen, deren Urheber ich jedoch unterschlug. Touristisch interessante Exemplare sind in diese Ausstellung integriert.

Auf meinen Reisen stöberte ich in den Museumsshops der Welt nach den einschlägigen Produkten denaturierter Kunst und fand das Übliche: Postkarten, Plakate, Teller, Tassen, T-Shirts, Puzzles . . . Ich erwarb etliches und kopierte die reproduzierten Motive, um das Medium ihrer ursprünglichen Zustandsform zurückzuerobern. Verändert in Größe und Farbauftrag, malte ich also "neue Originale", aus denen ich wiederum sammlungsinterne Waren für das eigene "Merchandising" ableitete. Manche Gemälde untertitelte ich mit bekannten Werken anderer Künstler oder ich schrieb sie Museumsdirektoren und anderen Prominenten zu.

So entstand im Laufe der Zeit eine umfangreiche Sammlung von Werken der Malerei und ihren Derivaten, von echten und falschen Shop-Artikeln, von Bilder-Titeln und Titel-Bildern historischer Gemälde und alltäglichem Kitsch, dem ich im Spiel mit der künstlerischen Erhebung den Status eines Auflagenobjekts verlieh. Diese Strategie wurde weltweit imitiert. Auch Udo Kittelmann, Leiter des Museums für Moderne Kunst Frankfurt, greift mit seiner aktuellen Ausstellung in diese Trickkiste und hat sich überraschend angeboten, die heutige Vernissage mit einer Laudatio abzuschließen.

Weitere Dimensionen meiner programmatischen Ausrichtung eröffnete ein interaktives Projekt mit dem Kunst-Museum Ahlen. Aus der Komplexität des vorhandenen Sammlungsbestands entwickelte sich ein richtungsweisender Deutungsaspekt, der die Gründung der Abteilung Tourismus einleitete. Was bedeutet das konkret?
Zunächst montierte ich auf die 200 m lange Glasfront der Abflughalle im Flughafen Münster/Osnabrück 49 Titel historischer Landschafts-Gemälde, wie sie auch hier präsent sind, z.B.: Rembrandt ∙ Landschaft mit Ruinen, Rubens ∙ Bacchanal auf Andros, Watteau ∙ Auf der Liebesinsel Kythera, Brueghel ∙ Das Schlaraffenland oder Manet ∙ Das Frühstück im Freien.
Dazu bot ich den Fluggästen ein Preisausschreiben an, das nach einem der applizierten Bildtitel fragte und gleichzeitig mit einem Versprechen aufwartete - ich zitiere auszugsweise:

"Wußten Sie schon, daß unsere Träume von Muße und Urlaub häufig auf die Bildvorstellungen berühmter Künstler zurückgehen? Und löst der moderne Tourismus Ihre Visionen ein? Dieser Fragestellung widmet Gunhild Söhn eine künstlerische Bestandsaufnahme. Mit einer Ansichtskarte aus Ihrem Zielort können Sie sich aktiv daran beteiligen: Denn die Künstlerin wird eine Auswahl der eingesandten Motive exklusiv in Malerei verwandeln (. . .). Außerdem können Sie noch einen Preis gewinnen, wenn Sie die folgende Frage richtig beantworten: Wie lautet der lateinische Schlüssel-Titel eines weltberühmten Gemäldes von N. Poussin?"

Das Ergebnis dieses Preisausschreibens finden Sie in der Ausstellung dokumentiert. Die Hälfte der 32 eingegangenen Postkarten transformierte ich als winzige Farbpunkte in Öl auf Holz. Das Verfahren eines solchen Miniatur-Pointillismus können Sie mit der Umsetzung eines digitalisierten Bildes durch einen Farbdrucker vergleichen – aber ohne Raster und alles in Handarbeit! So konnte ich, indem die Versender der Postkarten als Autoren eintraten, 16 Neuerwerbungen für DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN tätigen. Das Kunst-Museum Ahlen - übrigens ein in Westfalen gelegenes vielbeachtetes Stiftermuseum von überdurchschnittlichem Rang - zeigte 14 dieser Arbeiten als fortgeschriebene Geschichte der Landschaftsmalerei und wandelte die Lösung des Preisausschreibens mit einem Fragezeichen zur Losung der Ausstellung: Et in Arcadia ego? – zu deutsch Auch ich in Arkadien?. Ohne vorhandene Grundkenntnisse zum Begriff "Arkadien" ist allerdings eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dieser Problemstellung nicht zu leisten. Deshalb wird uns Herr Prof. Dr. Zweite, Leiter der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen K 20 / 21, Düsseldorf, im Anschluß an meine Rede noch eingehend darüber aufklären.

Im Vorfeld können wir aber dennoch die Frage wagen, ob Arkadien, diese Sehnsuchtsprojektion auf einen idealen Ort, auch in unserer Zeit noch eine Bedeutung hat. Ist dieser Mythos denn weiterhin in unseren Köpfen? Überlebt er als uralter Traum, als vergeistigte Struktur, als heitere Melancholie oder etwa im Reisen und in der heutigen Mobilität?

Sehen wir uns doch die 32 Ansichtskarten einmal genauer an: Ein Dutzend Karten ist in Spanien frankiert und gestempelt, 10 davon stammen von einer Insel, ¼ aller Karten zeigt neben anderen Bestandteilen das Element "Wasser" als Fluß, Meer, Brunnen oder Schnee. Bei den Motiven zählen wir 1 Tier, 1 Blume, 1 Baum, 1 Erlebnispark. Letzterer nimmt eine Sonderstellung ein, über die sich Herr Prof. König, Leiter des Ludwig-Museums in Köln, später noch äußern wird. Außerdem haben wir 2 Gärten, 9 Landschafts- und 14 Stadtansichten, geistliche und weltliche Monumente inklusive. Damit kommen wir zu dem erstaunlichen Resultat, daß sich mit jeweils 50% der Abbildungen die Antagonismen "Natur" und "Kultur" die Waage halten, wobei uns die Lücken und Tücken einer solchen Kategorisierung bewußt sein sollten. So entzieht sich ein weiteres Motiv, das insgesamt 3 x verschickt wurde, einer eindeutigen Zuordnung. Es ist die Rede von einer Karte, die als kostenfreie Zugabe die Teilnahmeinformation des Preisausschreibens begleitete und die ein Gemälde meiner Sammlung zeigt. Das Original hat in dieser Ausstellung einen besonders repräsentativen Ort gefunden, und wenn Sie Ihren Blick auf diese Arbeit lenken, werden Sie unschwer erkennen, worin die Kalamität besteht.

Handelt es sich bei dem Bildgegenstand, wie es die Untertitelung G. Söhn ∙ Kunst-Museum Ahlen suggeriert, um das Kunst-Museum Ahlen, müssen wir es unter "Kultur" verbuchen, handelt es sich jedoch, wie es das Bildmotiv nahelegt, um einen gemalten Landschaftseindruck, wählen wir dieselbe Kategorie - schließlich ist der Akt des Malens eine kulturelle Handlung, obwohl wir uns auch von dieser Einschätzung freimachen und behaupten könnten, das Malen selbst folge einer natürlichen Eingebung bei der Anschauung eines natürlichen Gegenstands und gerade die Kongruenz dieser Setzung rechtfertige die Einordnung in die Kategorie "Natur". Natürlich haben Sie längst gemerkt, daß wir uns hier in einer Sackgasse befinden, aus der uns auch die Erinnerung an die von Magritte gemalte Pfeife nicht heraushilft, deren Untertitelung uns lehrte: Ceci n'est pas une pipe – zu deutsch Dies ist keine Pfeife. Wenden wir uns also lieber an den Urheber des betreffenden Bildes und fragen Monsieur Matisse, was er vor nahezu einhundert Jahren in Tanger zu suchen hatte - ich bemühe mich im folgenden, das für unser Interesse Wesentliche zu referieren:

Auch Matisse war von Arkadien berührt. Emblematisch dafür ist sein 1904 entstandenes Gemälde Luxe, calme et volupté – zu deutsch Luxus, Ruhe und Wollust. Sie können das Bild auf einem Damen-T-Shirt bewundern, das die Abteilung Tourismus eigens für diese Ausstellung kreiert hat. Es knüpft in gewisser Hinsicht an Manets Frühstück im Freien an, einer damals als unerhört empfundenen Picknick-Szene mit zwei bekleideten Männern und zwei unbekleideten Frauen. Matisse bedient sich in seiner Version zwar der pointillistischen Technik Signacs, denn er ist an einer wissenschaftlich orientierten Auflösung des Farbraums zugunsten einer Darstellung des Lichts interessiert. Dennoch hält er weiter fest an den seit der Antike tradierten Vorstellungen vom "Goldenen Zeitalter", um dort den Ausdruck idealisierten Glücks zu finden. Im Winter 1912 reist Matisse nach Marokko, nachdem der russische Sammler Morosow zuvor drei Landschafts-Bilder bei ihm bestellt hat. Als Maler ist er fasziniert von dem eigenartig gebrochenen Licht und den islamisch geprägten Bildwelten, in denen das Dekorative gleichsam das Sakrale - sprich Universale - meint. Es entstehen drei Gemälde gleichen Formats von 115 x 80 cm, die er als Triptychon anlegt. Eines davon trägt den Titel Akanthus; marokkanische Landschaft, Tanger, und mit seinem Motiv haben wir es hier zu tun.

Da ähnlich wie dieses Bild auch die meisten anderen Werke des Künstlers in privaten Sammlungen "verschwanden" und seine Produktion vergleichsweise gering war, ist es heute fast unmöglich, einen Matisse zu erwerben. Das Kunst-Museum Ahlen bedauerte ebenfalls, einem solchen Wunsch entsagen zu müssen – und das bei seinen Sammlungsschwerpunkten "Licht" und "Große Inspiration", doch diesem Mißstand konnte abgeholfen werden!

DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN beschloß, dem Kunst-Museum Ahlen einen Matisse zuzueignen - mehr noch, es in einer Weise mit dem Werk zu identifizieren, wie es normalerweise mit dem Namen eines Künstlers geschieht: Man sagt "ein Matisse" - gemeint ist aber nur eine Arbeit von ihm! Bekennen wir uns nun zu dieser Bedeutungsverschiebung, müssen wir auch eine radikale Umkehr der herrschenden Verhältnisse in Kauf nehmen: In diesem Fall weist die Geste der Gebenden die Künstlerin als Mäzenatin aus, die der Welt ein Kunstwerk schenkt, um es abseits kommerzieller Interessen in die künstlerische Autonomie zurückzuholen. Stellvertretend für den Künstler Matisse offeriert Ihnen also DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN das Kunst-Museum Ahlen respektive einen Matisse. Diese Form der Enteignung steigert aber gleichzeitig den Wert des enteigneten Objekts, nämlich das Kunst-Museum Ahlen als Gemälde von Matisse, und DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN.

An dieser Stelle möchte ich Ihnen und mir eine kleine musikalische Erfrischung gönnen. Wir spielen aus dem Faßbinder-Film Lola im Vorgriff auf noch zu erörternde Inhalte ein von Barbara Sukowa vorgetragenes Liebeslied: Der Tag, als der Regen kam. Von derselben Interpretin stammt auch der Beitrag mit dem Titel Capri-Fischer, der die Picknick-Szenerie im Nebenraum untermalt. Beiden Songs sicherte die Abteilung Tourismus übrigens das Copyright.
(Nach der Liedeinspielung setzt die Sammlerin ihre Rede fort.)

Der warme Regen kam jetzt und damals meinen Fischzügen zugute, denn ich konnte neben kleineren Museen auch weitaus größere Häuser an meine Sammlung binden. So erwarb ich von dem Publizisten und Hobbykoch Alfred Biolek unser heimisches Museum Folkwang während der Ausstellung Von Monet bis Picasso mit Werken der russischen Sammler Schtschukin und besagtem Morosow, den ich zu diesem Event von der notwendigen Überschreibung des Matisse-Bildes an das Kunst-Museum Ahlen überzeugen konnte, nachdem ich Monet und Picasso mit Engelszungen überredet hatte, mir freizügig dreizehn Papiertaschen für wichtige Waren aus dem Museumsshop zu überlassen, die den Beteiligten und mir nach erfolgreichem Einkauf die innere Erleuchtung bescherten.

Von diesem Zeitpunkt an wußte ich Bescheid.

Darauf stellte sich das Museum für Moderne Kunst München mit seinem Direktor Hans-Peter Porzner als imaginäre Dauerleihgabe zur Verfügung und das Musée d'Orsay in Paris ergänzte diesen Gewinn mit einer wertvollen Briefmarkensammlung. Paris hatte mir aber noch mehr zu bieten. Haben Sie schon das alte Montmartre-Viertel mit der Kirche Sacré-Coeur entdeckt? Sie finden es im Schlaraffenland unter dem Stichwort "Essen" an der Wand des Folkwang- Museums neben Dolce, einer Arbeit des bekannten Malers und Galeristen Peter Stohrer. Ein paar Schritte weiter können Sie verschiedene Zuckerpäckchen mit sammlungseigenen Bildmotiven als Souvenir mit nach Hause nehmen - mit 1 Euro pro Stück sind Sie dabei . . .

Apropos Souvenir, schweifen bei diesem Wort unsere Gedanken nicht gleich in die Ferne? Lassen Sie sie ruhig los und verweilen Sie auf Ihrer inneren Reise mit Wehmut an Ihren Lieblingsorten, ob im Alten Europa oder in der Neuen Welt, denken Sie dabei an Goethe, an fremde Gestirne oder an Gott . . . und nun landen Sie wieder weich und sicher im Hier und Jetzt. Schlagen Sie Ihre Augen vorsichtig wieder auf und geben Sie den Nachbildern Ihrer Träume noch eine Chance. Jetzt stellen Sie sich der harten und trübsinnigen Foto-Realität von Thomas Ruffs Belt 1 Münster Osnabrück International Airport. – Et in Arcadia ego?

Ehrlich gesagt, interessiert Sie in diesem Moment der gute Poussin für keine 3 Kreuzer. Dieser steinerne Sarkophag mit der rätselhaften Inschrift in lieblicher Landschaft und pastoraler Idylle kann Ihnen im wahrsten Sinne des Wortes gestohlen bleiben, zumal er auch noch mit dem schändlichen Lorbeer eines Nachgeborenen spielt, um als Marcel Duchamps La-Boîte-en-Valise - zu deutsch Die-Kiste-im-Koffer, nicht in den Himmel auf-, sondern in den Orkus der Kunstgeschichte hinabzusteigen! Daß auch dieser Künstler mit von der Partie ist, wundert Sie überhaupt nicht mehr, hat er doch im selben Jahr, da sein Kollege in Marokko weilte, die Malerei für tot erklärt, um wenig später mit der Präsentation eines Urinals als Erster die Frage zu stellen: "Wo ist die Kunst?" – Antwort: "Im Museum." – Frage: "Ist alles, was das Museum zeigt, Kunst?" – Antwort: . . . Aber lassen wir das lieber – damit kommen wir in Teufels Küche! Duchamp hat lieber seine Siebensachen in einen Koffer gepackt, das ganze Lebenswerk - alles "en miniatur" - so war er unabhängig und konnte damit herumreisen! Vielleicht dachte er aber auch "Ab in die Kiste!" und schleppte noch zu Lebzeiten sein eigenes Mausoleum mit sich herum . . .

Mit diesen Eindrücken nehmen Sie nun Ihren Koffer vom Band und fahren langsam nach Hause zurück, fahren vorbei an endlosen Totenstätten und Palästen, durch trübe Vorstädte und Gefängnisse der Phantasie . . . Zu Hause angekommen, machen Sie sich einen Espresso und stellen sich dazu "Dolce" vor - das Souvenir(!). Dann öffnen Sie in aller Ruhe Ihren Koffer, packen in heiterer Gelassenheit Ihre Zuckerpäckchen aus und sind wieder ganz bei sich. –
Et Arcadia ego?

Wenn Sie Glück haben, sind Sie gerade in Ihrem ureigenen Arkadien gelandet . . .

Wie bereits angekündigt, wird Sie Herr Zweite in wenigen Momenten genau dort abholen, bevor im Anschluß Herr König das Wort übernimmt. Vorher möchte ich mich allerdings bei beiden Herren noch einmal ausdrücklich für ihre Bildwerke bedanken, mit denen sie meine Sammlung bedacht haben: Eine Nachtansicht von São Paulo und ein Kuß aus Köln! Meinen herzlichen Dank, auch schon im voraus und an Herrn Kittelmann, für die von uns jetzt mit Spannung erwartete Fortsetzung dieser Einführung.

2. Teil: Armin Zweite

Sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich, endlich einmal den zweiten Part spielen zu dürfen und komme ohne Umschweife gleich zur Sache: Et in Arcadia ego / Auch ich in Arkadien hat in der abendländischen Kultur eine lange Tradition. Geographisch bezeichnet Arkadien ein abgelegenes Bergland auf dem Peloponnes. Schon die antike Dichtung rühmt diese Landschaft für die idyllische Unberührtheit und den stillen Frieden, den das pastorale Dasein seiner Bewohner ausstrahlt. Fortan entwickelt sich der Begriff zur Metapher für ein ländlich-sorgenfreies Leben, das vor allem von der Schäferdichtung des ausgehenden Mittelalters und der Renaissance thematisiert wird. Doch schon bald verliert der Begriff seine ursprüngliche Naivität. Die fortdauernde Sehnsucht nach dem idealen Zustand und seine allegorische Verklärung erfahren eine elegisch-reflexive Brechung.

Jetzt beginnt die Malerei, sich mit diesen Inhalten zu beschäftigen: Giorgione, Tizian, Campagnola, Caracci, Domenichino, Guercino. Letzterer untertitelt Anfang des 17. Jahrhunderts einen am Boden liegenden Totenschädel, den zwei Hirten ergriffen betrachten, mit der Inschrift Et in Arcadia ego. Es handelt sich dabei um das vertraute "memento mori" alles Vergänglichen sowie den Triumph des Todes, daß auch er in Arkadien weilt - das ego/ich bezieht sich in diesem Fall auf ihn! Einige Jahrzehnte später findet sich dieselbe Inschrift auf dem steinernen Sarkophag eines Bildes von Poussin. Drei Hirten und eine Schäferin studieren sie bestürzt und sichtlich verunsichert. Mitte des 17. Jahrhunderts bearbeitet derselbe Maler die Szenerie in einer zweiten Version neu: Hier wirken die Betrachtenden kontemplativ versunken, sanft und fast heiter. Das zugrunde liegende Lebensgefühl hat sich gewandelt, die vorgeprägte Symbolik ist aufgebrochen.

Von da an wird zunehmend die barocke Sinnlichkeit spürbar, die in den Werken Poussins und Lorrains ihre visuelle Vollendung findet. Die Wendung Et in Arcadia ego wird schließlich zum geflügelten Wort - ihre Interpretation bezieht sich nun nicht mehr direkt auf den Tod, sondern auf den mutmaßlichen Urheber der Inschrift. Entsprechend stellt sich Arkadien zunehmend freier als individuell Empfundenes dar, das ohne die Attribute einer kanonisierten Deutung auskommt, weil diese gefühlsmäßig bereits eingebunden sind.

Dennoch bleibt bis zum Ende des 18. Jahrhunderts eine bestimmte Motivik weiterhin charakteristisch. Dazu gehören vor allem die Ästhetik des "locus amoenus", ein durch schattenspendende Bäume und sprudelnden Quell gekennzeichneter "lieblicher Ort", die bukolische Landschaft, Ruinenarchitektur und erotische Anspielungen - sprich Schäferstündchen. Während mit Eintritt der Französischen Revolution Malerei und Dichtung ihr Interesse allmählich daran verlieren, nimmt sich die Gartenbaukunst der weiteren Begriffsentwicklung an und überführt sie in den dreidimensionalen Raum, was zwei Jahrhunderte später auch die Bildende Kunst erneut beschäftigt. So holt DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN die plastische Erweiterung Arkadiens direkt aus dem Landschaftsraum in die künstlerische Installation, eine Darstellungsform, die man im 19. Jahrhundert noch nicht kannte und im 20. Jahrhundert vor allem als Wegbereiterin profanster Alltäglichkeit wahrnahm, so daß Marcel Proust rückblickend ein prophetischer Weitblick zugebilligt werden muß, wenn er behauptete: "Die wirklichen Paradiese sind die verlorenen Paradiese."

Es ist die raffiniert-melancholische Grundstimmung dieser Äußerung, die auch die auf dem Boden installierte Picknick-Szene im benachbarten Raum auszeichnet. Ihre einzelnen Bestandteile sind in einem dichten Beziehungsnetz miteinander verwoben und scheinen von einer unsichtbaren Partitur getragen, die die "Bezüglichkeiten", wie sie Gunhild Söhn definiert, zwischen den einzelnen Elementen auslotet und in einer raumgreifenden Situation als unverzichtbare Teile eines Ganzen veranschaulicht. Ich zitiere hierzu aus dem Sammlungskatalog collection privée die von mir geschätzte Kollegin Frau Dr. Uelsberg, inzwischen Leiterin des Rheinischen Landesmuseums, Bonn: "Die Möglichkeit, Gesehenes mit Erinnertem, Vergegenwärtigtes mit Vergessenem, Unmittelbares mit Fernliegendem zu kombinieren und aufeinander zu beziehen (. . .), löst beim Betrachter eine Vielzahl von Wahrnehmungsmodalitäten aus." Diese Beobachtung kann ich nur unterstreichen und – mehr noch als dies – ihr meine eigene Einschätzung hinzufügen: Da der erhöhte Aufmerksamkeitswert der installationsimmanenten Impulse den Rezipienten zu unerwarteten Reaktionen herausfordert, qualifiziert sich damit das gesamte Arrangement als "Soziale Plastik" in der Nachfolge von Josef Beuys.

Ich danke für Ihr aufmerksames Zuhören und kündige Ihnen hiermit Herrn König an, der den Vortrag an dieser Stelle weiterführen wird.

3. Teil: Kasper König

Vielen Dank für Ihre aufschlußreichen Ausführungen, Herr Zweite, daran kann ich meine Assoziationen unmittelbar und quasi lyrisch anknüpfen:

"Guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie!" Irgendwie kommt einem diese Formel doch bekannt vor, und damit sind wir auch gleich beim Thema: Soziale Plastik, Demokratisierung der Kunst - wir sind doch hier nicht beim sonntagabendlichen Polit-Talk! Verschonen wir uns damit, immerhin fällt das Aristokratische dem Mittelmäßigen nur scheinbar zum Opfer, und Opfer gibt es hier genug!

Hinter der nächsten Ecke lauert der Aufstand der Bilder, aber trauen Sie sich ruhig hinein und sehen Sie sich an, wie die Kursteilnehmer der sammlungseigenen Pädagogik-Abteilung auf die Zentralperspektive verzichten und hinter die Errungenschaften des Mittelalters zurückfallen! Hier sind die Reliquien des Alltagswahnsinns versammelt, und es ist schon eindrucksvoll, was da so alles "kreucht und fleucht" in diesem Bilderwald: "Kreti und Pleti" vom anderen Stern, bewaffnet mit Schwert und Hackebeilchen, allesamt Jäger und Sammler – das ist die sowieso gleiche Spezies – und dann noch jede Menge Tiere und das Elementare im Leben, F.S.F. . . . wie, Sie kennen das nicht (Fressen, Schei . . ., Fic . . .)? Da geht es um die Wurst, aber beißen Sie nur nicht hinein – das könnte Ihnen schlecht bekommen, nachher landen Sie auch auf diesem Klodeckel, der Durch die Brille des Kurators heißt, aber Sie sind ja kein König und kein Kurator!

Jetzt aber Spaß beiseite: Die Sammlerin Gunhild Söhn ist eine Nestbeschmutzerin - das hier ist alles Hehlerware, und die ist wirklich heiß! Ihre Blutspur führt durch halb Europa auf die kastilische Meseta - im Sommer brüllende Hitze und im Winter klirrende Kälte - bis in die spanische Hauptstadt, wo unsere Sammlerin von ihrer Kollegin, der Baronin Thyssen-Bornemisza, einer leidenschaftlichen Hobbymalerin, diesen jungen Caballero mit den wilden Rosen ergattern konnte, und dann noch diesen ganzen Schund aus ihrem Museumsshop und diesem Rastro, dem Flohmarkt von Madrid, den die Abteilung Tourismus als Wunderkammer in dem Wandschrank hier eingerichtet hat - das hat Weltklasse, um nicht zu sagen "Cyber-Space-Niveau", da spielt die allererste Liga, was Sie auch an der renommierten Sponsorenliste sehen können.

Hierzu bemerkte Herr Dr. Leinz, stellvertretender Leiter des Wilhelm-Lehmbruck-Museums in Duisburg, schon vor etlichen Jahren: "Die Kunst von Gunhild Söhn ist eine Kunst der Inszenierung, nicht der Gewißheiten, Endlösungen und nackten Tatsachen". Da müssen wir heute aber vehement widersprechen, verehrter Herr Kollege, diese Feststellung ist inzwischen von vorgestern! Deshalb zitiere ich Sie lieber an anderer Stelle weiter: "Die einzelnen Werkgruppen mit ihren Stationen ad ultimo sind die Etappen einer Reise in ein bis dahin unbekanntes Territorium, dessen Auffindung und „Entkleidung“ erstaunlicherweise zwei gänzlich gegensätzliche Reaktionen zuläßt: Entzücken und Schrecken. Während wir noch die geistreich gelegte Spur der Derivate bewundern, ahnen wir schon den durchlöcherten Boden jenes Fasses, aus dem gleichzeitig auch der Müll der Welt quillt."

Wohl wahr, wohl wahr - das sind die Abgründe des Absurden, die DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN vom Gipfel bis zum Absturz ausreizt. Ihr Spielformat ist von geradezu paradigmatischer Genialität, wie auch die Einladungskarte zu unserer Veranstaltung ihre latente Absicht nicht verfehlt: Erlebnispark Haslinger Hof. Hier liegt die Analogie zu unseren Institutionen der Kunst auf der Hand, und deshalb sage ich Ihnen heute: Damit sind wir auf dem richtigen Weg! Warum denn nicht morgen ein Picknick im Museum?

Vielen Dank für Ihre Geduld, meine Damen und Herren. Ich übergebe jetzt das Wort an den letzten Sprecher dieses Abends:

"Kommen Sie, Herr Kittelmann, zieh'n Sie Ihren Kittel an!"

4. Teil: Udo Kittelmann

Danke, Herr König, und Sie werden es gleich sehen:

Mit dieser Schutzkleidung mache ich meinem Namen alle Ehre, denn hier kommt der Abgesang und Sie, meine Damen und Herren, wissen es längst: Die Avantgarde ist tot – es lebe die Avantgarde! Ohne sie wollen wir nicht leben und nicht sterben, sie kündigt lautstark Fortschritt an, auch wenn es keinen gibt! Unzweifelhaft besteht die künstlerische Avantgarde heutzutage im Sammeln von Kunst. Als verantwortungsbewußte Sachwalter dieser Tradition sind meine Kollegen und ich längst bekannter als die meisten Künstlerinnen. Nun schießen aber neben unseren öffentlichen Museen auch zahllose Privatsammlungen wie Pilze aus dem Boden und zeigen ihre anale Leidenschaft ebenso unverblümt wie andere ihre intimen Beziehungen. Noch während sich in unseren Museen ambitionierte Künstlerinnen auf mühsam installierten Lotterbetten lümmeln, ist schon die nächste Sammlung bei uns untergekrochen oder hat unter wärmster Anteilnahme des Publikums ein nagelneues Domizil bezogen. Sammeln ist momentan der Hit, und das Kunsthaus Essen reagiert auf die Weiterentwicklung des künstlerischen Avantgardebegriffes blitzschnell, indem es DIE SAMMLUNG GUNHILD SÖHN präsentiert. Für mein Frankfurter Haus konnte ich soeben noch diverse Alltagsgegenstände bei eBay ersteigern - das wertet meinen Bestand natürlich wahnsinnig auf, aber wenn sich das zum Trend ausweitet, sind wir Museumsdirektoren irgendwann nur noch die Hausmeister dieser Einrichtungen, und da ich meine Nase immer ganz vorn habe, räume ich schon mal die Palette weg.

Es lebe die Avantgarde - die Ausstellung ist eröffnet!
(Die Palette, die den Sprechenden als Podium diente, wird weggeräumt.)


Biographie und Kunstwerke: Gunhild Söhn


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