Losnummer: 6655
Wegen „Aufhetzung zum Hass und wegen Verachtung der königlichen Regierung und Beleidigung der Person des Königs“ wird der 24-jährige Honoré Daumier aufgrund zweier politischer Karikaturen 1832 zu sechs Monaten Haft im Pariser Gefängnis Sainte-Pélagie verurteilt und schließlich in die psychiatrische Klinik von Philippe Pinel eingewiesen, wo sich auch Daumiers Verleger Charles Philipon befindet. Seit November 1830 arbeitet er für Philipons Wochenschrift La Caricature, ab Dezember 1832 für seine Tageszeitung Le Charivari als Lithograph und engagiert sich als republikanischer Karikaturist im Kampf „Philipon gegen Philippe“ (König Louis-Philippe I.) für die Pressefreiheit. Ab August 1832 wird, als Sonderausgabe der Caricature, die L´Association mensuelle veröffentlicht, deren Erlös dazu dienen soll, die hohen Gerichtskosten der Zeitungen zu decken, welche durch endlose Klagen seitens der Regierung entstanden waren. Insgesamt erlitt Philipon 20 Beschlagnahmungen, 6 Gerichtsentscheide, 3 Verurteilungen, 6000 Francs Geldstrafen, 13 Monate Gefängnis sowie Kautionsforderungen in Höhe von 24.000 Francs. Daumier lässt sich von der verbüßten Gefängnisstrafe nicht einschüchtern und schafft sofort nach der Entlassung für L´Association mensuelle seine lithographischen Meisterwerke. Wie sehr ihn das Thema Justiz beschäftigt, zeigt allein schon die hohe Zahl an Handzeichnungen dieses Themenkreises, die im Werkverzeichnis von Karl Eric Maison erfasst sind. Unter den ungefähr 1.900 Blättern findet man 145 Arbeiten mit Szenen oder Einzeldarstellungen von Richtern, Staatsanwälten, Advokaten und Angeklagten.
1878, ein Jahr vor Daumiers Tod, zeigt, unter der Schirmherrschaft des Dichters Victor Hugo, der berühmte Galerist Paul Durand-Ruel eine Retrospektive des Werkes des Lithographen, Karikaturisten, Malers und Bildhauers mit insgesamt 244 Nummern im Katalog. In Deutschland hingegen verbreitet sich Daumiers Ruhm erst nach 1900. Max Liebermann, der dessen Arbeiten sammelt, meinte: „Daumier ist ungeheuer! […] Wo man ihn packen will, entschwindet er. Er ist als Maler und Zeichner und Lithograph über alle Maßen groß. […] Er ist der größte Künstler des 19. Jahrhunderts. […] Daumier hat alles gekonnt, was er gewollt hat. Er ist das große Genie!“ (Werner Hofmann, Claude Keisch: "Daumier ist ungeheuer!": Gemälde, Zeichnungen, Graphik, Bronzen von Honoré Daumier. Kat. Ausst. Max Liebermann Haus Berlin 2013). Dreitausend Lithografien des Verehrten hütete Liebermann in seinem Palais am Brandenburger Tor, dazu 22 Handzeichnungen und ein Gemälde. Diese Begeisterung teilte er mit weiteren Sammlern der Stadt: Otto Gerstenberg und Eduard Fuchs. Fuchs, der sich nach dem Bestsellererfolg seiner 1909 erschienenen "Illustrierten Sittengeschichte" ganz auf das Sammeln konzentrieren konnte, besaß zu dieser Zeit bereits 3800 Lithographien von Daumier. Ende der zwanziger Jahre war die Sammlung auf 6000 Drucke, ein gutes Dutzend Gemälde und ebensoviele Zeichnungen des Franzosen angewachsen. Diese Sammlung bildete den Grundstock der 1926 in der Berliner Galerie Matthiesen stattfindenden umfassenden Daumier-Ausstellung, in der auch unser Blatt unter der Kat. Nr. 118 zuletzt für die Öffentlichkeit zu sehen war. 1933 geht Eduard Fuchs, Gründungsmitglied des Spartakusbundes und seit 1919 Mitglied der KPD, ins Exil nach Paris. Am 25.Oktober 1933 werden große Teile seiner Kunstsammlung, vornehmlich die Gemälde, durch die Gestapo beschlagnahmt, vieles von der Hand seiner Zeitgenossen wird auch vernichtet. 1937/38 erfolgen durch seine Tochter, in seinem Auftrag veranlasst, drei Auktionen in Berlin und Leipzig. Damit ist die Sammlung endgültig zerschlagen. Eduard Fuchs stirbt am 26. Januar 1940 in Paris. Er wird von seiner zweiten Ehefrau Margarete Fuchs - genannt Grete - überlebt. Sie stirbt 1953 im Exil in New York.
Mit einer Echtheitsbestätigung des Comité Honoré Daumier vom 29. November 2016. Die Zeichnung wird in den Ergänzungsband des Catalogue Raisonné von Karl Eric Maison, herausgegeben von Comité Honoré Daumier, aufgenommen.
Provenienz: Felix Gurlitt.
Eduard Fuchs.
Vermutlich aus dem Nachlass der Margarete Fuchs oder der Tochter, New York.
Vom Vorbesitzer in den 1980er Jahren in New York erworben.
Privatsammlung Berlin.
Ausstellung: Kat. Ausst. Galerie Matthiesen Berlin, 21.2.-31.3.1926, Honoré Daumier: Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen, S. 66. Kat.Nr. 118.
Literatur: Julius Meier-Graefe: Entwicklungsgeschichte der Modernen Kunst, München 1920, Bd.I, Taf.161
Erich Klossowski: Honoré Daumier, München 1923 (2. Auflage), Taf. 79 (als "Der Richter").
Eduard Fuchs: Der Maler Daumier, München 1927, (und 2. Aufl. 1930), S. 53, Kat.Nr.185b, Abb. S. 185 (als "Der Verteidiger")
Karl Eric Maison: Honoré Daumier, Catalogue Raisonné of the Watercolours and Drawings, Paris 1968, Bd.II, Nr. XI, Taf. 323 (als "Attribution" mit dem Zusatz "The drawing is not known to me in the original. [...] Pending an opportunity of seeing the original, I prefer to list it here tentatively as an attribution.")
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