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Symbolismus trifft auf Quadrat, Schinkel auf Bugatti – „Germinal“ bei Bassenge
Germinal – so bezeichnete der Französische Revolutionskalender den Frühlingsmonat, den Monat des Aufbruchs und Erwachens. „Germinal“ – so nannte der berühmte Kunstkritiker und Visionär Julius Meier-Graefe programmatisch das Mappenwerk, das seiner 1899 in Paris gegründeten Galerie einen spektakulären Auftakt gab. Die darin gesammelten zwanzig Graphiken von Degas, van Gogh, Toulouse-Lautrec, Rodin, Gauguin, Renoir und anderen wirkten wie ein Fanal der kommenden, modernen Kunstauffassung. Ein vollständiges und deshalb äußert seltenes Exemplar des Germinal- Albums (Los 5516, 60.000 €) aus vormaligem Besitz der Bremer Sammlerfamilie Wolde ist einer der Höhepunkte der Frühjahrsauktion der Galerie Bassenge. Exemplarisch steht diese Mappe für den Sonderkatalog Polychrom, der einer Tour d’Horizon in 120 Losen entlang der europäischen Druckgraphik zur Zeit der Jahrhundertwende gleichkommt, mit Werken von Icart, Signac, Toulouse-Lautrec, Pissarro, Moser, Rops, Ilsted, Hablik, Orlik und vielen anderen, ergänzt durch Publikationen wie die Zeitschrift „Ver Sacrum, die Jahresmappen der Wiener Gesellschaft für vervielfältigende Kunst“ und den Kalender der Wiener Secession von 1903 (5565, 3.500 €). Eine weitere prominente Graphik: Bonnards Farblithographie von 1899 „Maison dans la cour“ (5518, 16.000 €).
„Traumzeit - Max Klinger, Otto Greiner und der deutsche Symbolismus“ ist der Titel des zweiten, mit einem umfangreichen Vorwort von Rolf Günther versehenen Sonderkataloges der Auktion, der ein seit den 1970er Jahren zunehmend wachsendes Interesse an symbolistischer Kunst aufnimmt und – mit den Worten van Goghs – „eine fremdartige und glückliche Begegnung der unendlich fernen Vergangenheit mit roher Modernität“ erlaubt. Der Katalog versammelt über 130 Graphiken und Gemälde. Herausragend Otto Greiners Federzeichnung Gäa, die Vorzeichnung zu seiner 1912 vollendeten monumentalen Radierung (6328, 30.000 €), Lipinskys 223 Blatt umfassende Vorstudien zu den „Radierte(n) Bilder(n) zu Homer’s Odyssee“ (6345, 35.000 €), Stahls Hauptwerk aus seiner Florentiner Schaffensphase „Der Tanz der Salome“ (6402, 15.000 €) und Klingers wundervolle „Paraphrase über den Fund eines Handschuhes“ (6303, 7.500 €).
An vier Tagen kommt das Angebot in sechs weiteren Katalogen zum Aufruf: Bei der Druckgraphik des 15. bis 19. Jahrhunderts erwartet uns ein Hauptwerk Karl Friedrich Schinkels: sein „Versuch die liebliche sehnsuchtsvolle Wehmuth auszudrücken welche das Herz beim Klange des Gottesdienstes aus der Kirche herschallend erfüllt“. Die großformatige Federlithographie, nüchtern betrachtet eine „Gotische Kirche hinter Bäumen“, ist als ein Rarissimum im „einzigen Zustand“ auf 40.000 € geschätzt (5342). Weitere Spitzenlose sind die vollständige Folge mit 20 Holzschnitten von Dürers „Marienleben“ (5060, 35.000 €), ein Frühdruck von dessen Kupferstich „Ritter, Tod und Teufel“ (5050, 30.000 €), Rembrandts „Gelehrter in seiner Stube“ (5152, 30.000 €) in einem in dieser Druckqualität höchst seltenen Exemplar sowie eine der raren Landschaftsradierungen desselben Meisters: „Die Landschaft mit dem Zeichner“, also ihm selbst (5150, 25.000 €). Eine Kupferstichfolge der „Sieben Tugenden“, die Bruegel seinen sieben Lastern folgen ließ, soll 24.000 € einspielen (5025). Zwei Gipsabdrücke Carl Wilhelm Kolbes gelten als die einzigen erhaltenen ihrer Art, bei der Fragilität des Materials kaum verwunderlich. Die „Kuh im Schilfe“ bzw. „im Sumpfe“ stehen jeweils mit einer Schätzung von 15.000 € zu Gebote (5229 und 5230).
Eine Reihe von bezaubernden Zimmeraquarellen aus der Mitte des vorvorigen Jahrhunderts ist eine der Besonderheiten im über 250 Lose darbietenden Katalog Zeichnungen des 16. bis 19. Jahrhunderts: Amici schenkt uns hier einen Blick in den Salon des Palazzo Feoli in Rom, Werner platziert in einem Zimmer des Hotels Costanzi ein Windspiel auf dem Fauteuil, der einst hoch geschätzte Vedutenmaler Heinrich zeigt das Audienzzimmer von Papst Pius IX. und Crachet einen von südlichem Licht durchströmten Salon in Nizza, während Girard ein Schlafzimmer in Palermo in anmutiger Dezenz zum Vorschein bringt (6709-6713, 400-600 €). 1838 widmet sich Hintze mit einer kolorierten Kreidelithographie einer der „kostbarsten Piecen“ des Schlosses Sanssouci, dem Konzertzimmer Friedrichs II. (6714, 1.200 €), dem in diesem Fall die geliebten Windspiele des Preußenkönigs gewiss fernbleiben mussten. Eine Serie von russischen Aquarellen ist ebenso reizvoll (6667-6671, 2.400-3.000 €), darunter Tschernezoffs „Zar Nikolaus I. beim Spaziergang mit Sohn Alexander“, Kollmanns „Ansichten von St. Petersburg“ und „Der Alexanderpalast bei Tzarskoé-Selo“ des bekannten Schweizer Landschaftsmalers Johann Jakob Meyer.
Unter den Gemälden Alter und Neuerer Meister treten Schinkels Schinkels „Seidentableau des Testaments von Friedrich Wilhelm III. in einem Ädikula-Rahmen“ hervor (6047, 50.000 €), Ansichten von Carabain („Blick auf Cochem“, 6037, 25.000 €), van Alsloot („Waldlandschaft,“ 6010, 25.000 €) und Stoitzner („Sulzbachtal“, 6207, 18.000 €). Ein Wunderkind der Bildhauerei könnte man in Rembrandt Bugatti sehen, der als Autodidakt grandiose Tierplastiken schuf, darunter auch die Kühlerfigur für die legendären Luxusautomobile seines Bruders Carlo. In seinen letzten Lebensjahren entstanden in seinem Atelier einige wenige, kleinformatige Gemälde, die er engen Freunden widmete und schenkte. Mit einer „Ansicht von einem Park in Mailand“ aus dem Jahr 1915 erinnert die Auktion an diesen zuletzt unglücklichen Künstler, der sich 1916 mit 31 Jahren in Paris das Leben nahm (6199, 24.000 €).
Das stattliche Angebot der Modernen und Zeitgenössischen Kunst (dessen zweiter Teil nur online verfügbar ist) enthält Werke von Nolde, darunter das Aquarell aus den fünfziger Jahren „Rote Blüten und eine blaue Hyazinthe“ (8136, 60.000 €), Kirchners Aquatinta „Drei Kokotten bei Nacht“ (8054, 50.000 €), ein typisches Grosz-Aquarell von 1923 („Der blinde Krüppel“, 8079, 50.000 €) und Pechsteins „Porträt von Dr. Freundlich“ (8074, 25.000 €). Im Nachkriegssegment glänzt „Chouette“, eine Tiervase von Picasso aus dem Jahr 1968 (8162, 20.000 €), außerdem erfindet ein Mann die Schwerelosigkeit auf Blais’ Plakatabriss (8252, 25.000 €) und Imi Knoebel collagiert 32 Farbserigraphien in den nicht nur in Grunewald traditionsreichen Farben „Rot-Weiß“ (8278, 16.000 €). Die letzten Seiten des gedruckten Kataloges dominiert das höchst abwechslungsreiche Gleichmaß – ein Widerspruch? Keineswegs. In 75 Losen wird gezeigt, welch eindrucksvolle Variationen die quadratische Form bereithält: von Walthers „Faltung“ (8301, 2.000 €), der Farbserigraphie „O-G“ von Albers (8305, 2.400 €) über Gimbletts „Phoenix“ (8237, 3.500 €) bis hin zu Arbeiten von Rückriem, Rauschenberg, Vasarely („Pleionne F.“, 8357, 2.800 €), einem Tintenfass von Josef Hoffmann (8356, 4.000 €) und einer gefüllten Pizza-Hut-Schachtel der Klasse Baselitz (8375, 2.800 €).
Wie immer markiert die Fotografie den Schluss der Auktionssaison des Hauses. Mit einer Sektion historischer Fotografie des 19. Jahrhunderts, einem umfangreichen Teil 20. Jahrhundert/Contemporary und einer Passage mit DDR-Fotografie. Spitzenstücke des Kataloges sind der nasenmaskierte „Steinberg“ von Irving Penn (4262, 18.000 €), ein „Wrapped Torso“ von Herb Ritts (4274, 10.000 €), der „Hochofen Hainer Hütte“ des Künstlerpaares Becher (4092, 8.000 €) sowie Vintage-Abzüge von Curtis, Klauke, El Lissitzky, Cartier-Bresson und Goldin. Die Rhinower Berge, ein Hügelrücken von kaum 100 Metern Höhe im Havelland, 90 km vor Berlin, ist 1893 Schauplatz eines Gleitfluges von Otto Lilienthal, der wie ein Insekt mit hauchdünnen, schimmernden Flügeln dahinschwebt. Der Fotograf Krajewski war dabei (4047, 7.000 €). Und so sicher wie Lilienthal damals gelandet ist, wird auch die Auktion mit Gerhard Richter, der den Besen hält (4321, 1.500 €) am 5. Juni ans Ziel kommen. |