Losnummer: 9
Mit seiner unangepassten figurativen Malerei stellt sich Georg Baselitz seit Beginn seiner künstlerischen Laufbahn den vorherrschenden Kunstströmungen entgegen und provoziert durch die radikale Auseinandersetzung mit der jüngeren deutschen Geschichte. In der ab 1965 entstehenden monumentalen Serie der „Heldenbilder“ erheben sich massige, ungeschlachte Gestalten mit Uniformteilen oder Fahnen als Attribute, sie sind wie ihr Umraum von Schlamm und Verwüstung geprägt und verweisen auf Krieg und Gewalt.
Mit den „Frakturbildern“ vollzieht Baselitz ab 1966 einen radikalen kompositorischen Bruch, um mit unterschiedlichen Mitteln bewusst den klassischen Bildaufbau zu stören. In den frühen Beispielen dieser Werkphase lässt er gradlinige Schnitte durch das Motiv verlaufen oder teilt es in gegeneinander versetzte Motivstreifen auf.
Innerhalb der „Frakturbilder“ bilden die - teils dezidiert „Ein Werktätiger“ betitelten - Darstellungen von Arbeitern oder Handwerkern eine bedeutende Gruppe. Hier verläuft die Fraktur nicht mehr linear, stattdessen dekonstruiert Baselitz seine archaisch erscheinenden Figuren in sich. Die daraus resultierenden Brüche und Verwerfungen schöpfen sich aus dem Kubismus und Surrealismus. Die Gliedmaßen und Torsi der als Holzarbeiter, Schlachter oder Schmiede zu lesenden Männer sind als lose zusammenhängende Einzelteile ausgeführt. Fragmentiert, gestaucht, unterbrochen oder überlagert, sind sie untrennbar in ihre Tätigkeiten und ihre Umgebung eingebunden. Abstrahierte, vielfach kaum zu entschlüsselnde Formen bestimmen diese Bilder.
Auch unser „Werktätiger“ ist nur schwer auszudeuten. Der hinter ihm liegende Balken und seine Arbeit mit dem Beil an einem weiteren quaderförmigen Holzklotz weisen ihn als Zimmermann aus. Im Hintergrund aufragende Bäume oder Baumstümpfe verorten die Szenerie in einem Wald. Rätselhafte Formen um die Schulterbereiche der Figur lassen vielfältige Interpretationen zu.
Eine unterschwellig wahrnehmbare Kraft und Gewalt, die die früheren Heldenbilder auszeichnet, ist auch in den Frakturbildern wiederzufinden. Vor allem schlägt sich aber eine Hinwendung zu einer ländlichen, rustikalen Welt nieder, die sich durch die biografischen Hintergründe erklären lassen, denn 1966 zieht Georg Baselitz mit seiner Familie aus der Großstadt Berlin in das beschauliche Osthofen bei Worms. Erdfarben dominieren die Bilder; neben der Darstellung althergebrachter Handwerksberufe sind die vorherrschenden Themen Wald, Holz und Jagd.
Ab 1969 beginnt Baselitz damit, die Motive seiner Gemälde auf den Kopf zu stellen und so vom figurativen Bildgegenstand zur reinen Formwahrnehmung zu gelangen. Die „Frakturbilder“ sind das ausschlaggebende Bindeglied auf seinem Weg zu einer weitgehenden Abstraktion, ohne die figürliche Malerei aufzugeben.
Provenienz
Galerie Fred Jahn, München (1979); Sammlung Günter P. Landmann, München
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