 |
 |
Johannes Franzen: „Recoding Photography
11. April – 6. Juni 2105
Johannes Franzen. Recoding Photography.
Die Übermacht der Bilder ist allgegenwärtig. Allein auf Facebook wurden im vergangenen Jahr 91 Milliarden Fotos hochgeladen. Das sind fast 3.000 Fotos pro Sekunde. Der iconic turn hat nahezu sämtliche Lebens- und Wissensbereiche erfasst. Das Bild und mit ihm die Fotografie ist zum erkenntnistheoretischen Instrument avanciert, obwohl das Verhältnis von Fotografie und Wirklichkeit vielleicht nie fragwürdiger war als heute. In diesem Spannungsfeld siedelt Johannes Franzen seine Arbeiten an, die den Betrachter im Falle seiner aktuellen Serie »Recoding Photography« auf seltsam vertrautes Terrain locken.
Ceci n’est pas une pipe.
Unablässig nehmen wir Bilder auf, laden sie hoch, speisen sie ein und verstellen uns damit den Blick auf die Wirklichkeit, von dem wir gerade glauben, ihn zu schärfen. Die hohe Auflösung, die Brillanz, die Detailgenauigkeit: in ihrer Perfektion verführen uns die digitalen Bilder dazu, sie für das zu halten, was sie lediglich abzubilden vorgeben. Die Möglichkeit, Datum, Uhrzeit oder wie beim Geotagging auch geografische Koordinaten hinzuzufügen – und damit scheinbar den unumstößlichen Wirklichkeitsbeweis anzutreten – macht die Sache nur verwirrender. Denn an der ebenso schlichten wie fundamentalen Erkenntnis, dass ein Bild von einer Pfeife keine Pfeife ist, hat sich bis heute nichts geändert.
Bild. Text. Bild.
Während Franzen uns in seinen früheren Arbeiten farbgewaltige Einblicke in die DNA der digitalen Bilder gewährt hat, geht er mit seiner aktuellen Serie noch einen Schritt weiter: Er greift nun selbst in den Bauplan der Bilder ein. Jedes digitale Foto ist codiert als Reihe von Zahlen und Buchstaben; hinter seiner äußeren Erscheinung steckt somit ein Text. Diesen Text durchforstet Franzen mit seinem Programmcode, um Zusammenhänge zu finden, diese aufzutrennen, Bildinformationen umzusortieren und am Ende alle Elemente wieder neu zusammenzusetzen.
Die Transformationsmaschine.
Für diese Umcodierungen hat er sich prototypische Motive vorgenommen: Kuh, Wald, Stadt, Nackte, Tal, Meer. Die Auswahl ist dabei ebenso gezielt wie zufällig: Es geht Franzen darum, dass jeder Betrachter genau diese Motive idealerweise schon einmal so oder ähnlich gesehen und damit auch im Gedächtnis hat. Die mögliche symbolische Bedeutung der einzelnen Motive schwingt je nach kultureller oder auch geografischer Herkunft des Betrachters mehr oder weniger stark mit. Sein Programmcode erweist sich dabei als mächtige Transformationsmaschine. Kein Pixel, das vor ihr sicher ist. »Das kenne ich anders«, sind wir beim Betrachten der großformatigen Bilder versucht zu denken und gleichen ab. Das Bild im Kopf mit dem Bild an der Wand. Wenn wir uns auf diese Irritation einlassen und darauf, dass unsere Wahrnehmung im Begriff ist, zwischen Vorstellung und Wirklichkeit die Orientierung zu verlieren, wird sich unser Blick verändern. Wir beginnen, neu zu sehen: das Bild an der Wand. Die Kuh. Den Wald. Die Stadt. Die Nackte. Das Tal. Das Meer. Franzen selbst schaut mit spielerischer Neugier auf das Ergebnis seiner faszinierenden Manipulationen, die zwar berechenbar, aber durchaus nicht vorhersehbar sind. Als wolle er mit jedem Motiv aufs Neue ausloten, ob Objektivität und Vorstellung, Berechnung und Betrachtung genau in dem Moment auseinander treiben, in dem wir uns ein Bild machen – von der Welt und von uns.
Die Divergenz der Wahrnehmung.
In Franzens Arbeiten geht es immer auch um die Prämissen menschlicher Wahrnehmung. Wo verlaufen die Grenzen zwischen »wahrnehmen« und »sehen«? Welche neuronalen Prozesse sind hierfür verantwortlich? »Unsere Wahrnehmungen«, so der Neurophysiologe und langjährige Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt, Wolf Singer, »sind keine isomorphen Abbildungen einer wie auch immer gearteten Wirklichkeit. Sie sind vielmehr das Ergebnis hochkomplexer Konstruktionen und Interpretationsprozesse, die sich sehr stark auf gespeichertes Vorwissen stützen.«* Das bedeutet aber auch, dass wir paradoxerweise gerade das für die Wirklichkeit halten, was letztlich das Ergebnis eines interpretatorischen Aktes ist. Unser Vorstellung vom Meer, das sich aus Sinneseindrücken, Erlebnissen, evolutionären Prozessen und wiederum unzähligen Abbildungen speist, ist nicht wirklicher als Franzens Bild vom Meer, das uns darum ebenso fremd wie vertraut vorkommt. Nicht das Sehen selbst, sondern erst die Reflexion darüber erlaubt uns Einsichten in die Prozesse der Wahrnehmung. Franzens Bilder können auch als Akt des Philosophierens mit anderen Mitteln angesehen werden. Das Terrain dafür wird gerade erst abgesteckt.
Nadja Mayer, Frankfurt
*in: »Iconic Turn: Die neue Macht der Bilder«, Christa Maar, Hubert Burda (Hg.), Köln 2004
|