Losnummer: 3645
Werkverzeichnis: Baer, Nr. 682, 5. Zustand B.
Pablo Picassos druckgrafisches Werk gehört sowohl in Umfang, Variantenreichtum als auch vor allem in Bezug auf die Qualität zum Besten, was in der Kunst des 20. Jahrhunderts entstanden ist. Er beherrscht alle grafischen Techniken, kombiniert sie meisterlich und greift auch auf längst vergessene Techniken zurück. Die Druckgrafik nimmt in seinem Gesamtwerk eine gleichwertige Stellung zu den Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen ein. Es gibt Phasen in seinem künstlerischen Schaffen, in denen die Grafik das beherrschende Medium ist. Die Variationsmöglichkeiten der unterschiedlichen Drucke ermöglichen es Picasso, seine Experimentierfreudigkeit auszuleben. Die dominierende Drucktechnik ist die Radierung in all ihren unterschiedlichen Formen. Die vorliegende, grossformatige Radierung "Paris, 14 juillet 42" gehört zu den seltensten Druckgrafiken Pablo Picassos. Insgesamt gibt es von diesem Blatt fünf Zustände, von denen alles in allem nur 16 Abzüge bekannt sind. Eines dieser 16 Blätter können wir hier anbieten; es handelt sich dabei um den 5. Zustand. Keiner dieser Abzüge ist von Picasso zu Lebzeiten signiert worden, da er es zwar als "fertige Arbeit" zur Seite gelegt hat, sie dann aber erst nach seinem Tod wieder zu Tage gekommen sind.
Zur Zeit der deutschen Besatzung Frankreichs (1940 - 1944) lebt Pablo Picasso in Paris. Als Künstler der Avantgarde und als Urheber des Werkes "Guernica", mit dem er 1937 aufs Schärfste das Franco Regime angegriffen hat, sieht er sich, wie auch seine Freunde, ständigen Repressalien ausgesetzt. Dennoch bleibt er in Paris und arbeitet weiter.
Zum französischen Nationalfeiertag 1942 schafft er eine eindrückliche Grafik, die der durch Hungersnot und zunehmenden Judendeportationen gebeutelte Stadt, Hoffnung geben soll. Er bezieht sich auf den "Ara Pacis Augustae" - den Altar des Friedens des Augustus in Rom, der 13 v. Chr. vom römischen Senat in Auftrag gegeben wurde, um die Siege Kaiser Augustus zu rühmen. Mit einer jährlichen Opferprozession sollte den Göttern für den Frieden gedankt werden und für seine Erhaltung gebetet werden. Mit Kaiser Augustus beginnt für das Römische Reich eine langanhaltende Friedenszeit, die durch Wohlstand, politische Stabilität und Sicherheit gekennzeichnet ist - die Pax Romana.
Ebenso eine Prozession sehen wir auf der vorliegenden Grafik. Am rechten Rand steht ein bärtiger Mann mit Blumen und einer Malerpalette in der Hand. Auf ihn bewegt sich die Prozession zu - Männer, Frauen und Kinder unterschiedlichen Alters mit Tieren, Brot und Früchten. Nach Kriegszeit, Not und den damit verbundenen Entbehrungen stellt Picasso mit diesem Bezug eine anhaltende Friedenszeit in Aussicht. Zugleich, wohl auch beeinflusst durch seine eigene Situation als Künstler unter der Besatzung, erinnert er an die Kunst, die ein Bestandteil der friedenbringenden Freiheit sein wird.
"Paris, 14 juillet 42" gehört zu den wenigen Werken in Picassos umfassendem Oeuvre, das dem Betrachter eine Geschichte erzählt und indirekt auch politisch Stellung bezieht. Das Blatt besticht durch seine klaren Linien und dem gekonnten Einsatz derselben, um Kontraste zu schaffen. So treten einige Personen, aber auch die Ziege durch tiefschwarze Umrisslinien deutlich in den Vordergrund, während andere Personen oder die Blumen am rechten Blattrand durch die feine Zeichnung in den Hintergrund treten. So schafft Picasso durch den unterschiedlichen Einsatz der Radiertechnik zum einen eine inhaltliche Hierarchisierung, zum anderen räumliche Tiefe ohne wirklich Perspektive einsetzen zu müssen. Vergleicht man die unterschiedlichen Zustände so gewinnt die reine Zeichnung immer mehr an Bedeutung und alle ablenkenden Faktoren werden eliminiert, so dass das vorliegende Blatt zu den beeindruckendsten dieser Folge gehört.
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