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Mit einem Sonderkatalog der Sammlung Stephan Seeliger und sieben Katalogen mit Druckgraphik, Zeichnungen, Gemälden und Fotografien geht Bassenge in die Herbstauktion.
Zweihundert Jahre überwindet dieses Bildnis mit nur einem Wimpernschlag. Am 26. März 1829 zeichnet Johann von Führich in Rom sich selbst „mit Brille“ und beschenkt uns mit einem Portrait von wahrhaft „zeitloser Gegenwart“, so Stephan Seeliger, der 2005 die Bleistiftzeichnung veröffentlichte. Für ihn ist es das bedeutendste Werk einer Sammlung romantischer und nazarenischer Graphik, die er über Jahrzehnte mit größter Kennerschaft zusammentrug. Nun ist Führichs Portrait der Höhepunkt (Los 6370, Schätzung 35.000 €) einer Auktion mit einem eigenen, von Norbert Suhr fundiert eingeleiteten Katalog, die dem im vergangenen Dezember gestorbenen Sammler und Kunsthistoriker gewidmet ist. Sie glänzt mit einer Reihe von Blättern bekannter Namen wie Schnorr von Carolsfeld, Friedrich Olivier (u. a. mit einem Skizzenbuch, 6364, 12.000 €), Nadorp oder Ramboux (Doppelportrait des Bildhauers Konrad Eberhard mit seinem Bruder Franz, 6314, 24.000 €). Besonderes Profil gewinnt die Sammlung Stephan Seeliger auch dadurch, dass sie Werke von weniger beachteten Künstlern, zum Beispiel Eberhard, Freudweiler, Naeke und Ruscheweyh, zur Geltung bringt. Die Vermutung, dass die Sammlerwelt dieser Auktion entgegenfiebert, dürfte wohl berechtigt sein.
Zwei Sektionen sind der Seeliger-Auktion vorangestellt: Die Druckgraphik des 15. bis 19. Jahrhunderts präsentiert als Spitzenlose Dürers Geburt Christi (5064, 18.000 €), van Meckenems dritten Kupferstich aus der Passionsfolge (Christus vor Annas, 5117, 18.000 €) sowie einen monumentalen, äußerst seltenen Holzschnitt von Andreani in einem ausgezeichneten Frühdruck: Moses zerbricht die Gesetzestafeln (5010, 12.000 €). Neben dem wie stets dichten Angebot von Blättern Dürers (z. B. Der Marktbauer und sein Weib, 5074, 9.000 €; Die Anbetung der Könige, 5055, 6.000 €), stehen Werke von Bruegel d. Ä. (Der Esel in der Schule, 5035, 15.000 €), Bellotto (Perspective du Pont de Dresde sur L‘Elbe im seltenen ersten Druckzustand, 5203, 12.000 € und – ebenso selten – Perspective de la Facade de la Gallerie Roiale, 5204, 9.000 €), Desprez (Die große Eruption des Vesuvs, 12.000 €), Piranesi (die Farbradierung La Girandola, 5277, 8.000 €), Rembrandt (Die Verkündigung an die Hirten, 5143, 6.000 €), Schongauer (Die Grablegung, 5174, 6.000 €) und alle vier ergänzenden Radierungen zu den Proverbios von Goya (5244, 6.000 €).
Der Druckgraphik folgt die Auktion mit Gemälden Alter und Neuerer Meister. Darin eines der schönsten Beispiele für die eminente Portraitkunst des hannoverschen Hofmalers Ziesenis d. J. Sein Ölbildnis zeigt den einflussreichen Oberhofmarschall von Studnitz 1761 auf dem Zenit seiner Karriere, selbstbewusst, in einem scheinbar privaten Ambiente, das jedoch voller Bedeutung ist. Subtil erhalten wir einen Hinweis auf Studnitz‘ Standesrang: etwa auf dem Beistelltischchen durch eine Doppelhenkeltasse mit Schokolade, dem modischen, höchsten Distinktionsgewinn versprechenden Luxusgetränk der Zeit (6036, 24.000 €). Weitere Toplose im Gemälde-Katalog sind zwei Leinwände mit dem Epitheton Rubens: aus seiner Schule Die Heilige Familie mit Joseph und Anna (6015, 18.000 €), aus der Werkstatt Die Kreuzigung Christi (6017, 8.000 €), eine Arbeit nach einem verschollenen Werk des Meisters. Erwähnenswert sind außerdem das Kircheninterieur einer gotischen Kathedrale von dem bedeutenden flämischen Architekturmaler Neefs (6022, 16.000 €), Die Verkündigung des zwischen 1485-1515 in Florenz tätigen Maestro del Tondo Borghese (6002, 15.000 €) und zwei Landschaften von Bol, Beispiele für seine Vorliebe, in von zahlreichen Figuren und Tieren belebten und mit detailreich geschilderten Architekturen ausstaffierten Miniaturen die Jahreszeiten und Monate darzustellen. Des Weiteren ein Falstaff von Grützner (6113, 15.000 €), Jongkinds Gewitterstimmung über einer Flusslandschaft (6168, 12.000 €) und ein flämisches Katzenkonzert aus dem 17. Jahrhundert (6027, 9.000 €). Ganz im Zeichen seiner Schönheit und Würde nimmt dieser Tage Freys indischer Tiger seine Aufgabe wahr, von seinem Platz an der Wand den Bietsaal zu observieren. Seine Majestät ist mit 7.500 € taxiert (6086).
Den zweiten Auktionstag beschließen 130 Portraitminiaturen, darunter eine britische (oder niederländische) Verkleidungsminiatur aus der Zeit um 1660. Mittels 14 Glimmerschieferplättchen kann das Bildnis einer jungen Frau zum Vergnügen des Betrachters oder der Betrachterin beliebig variiert werden: von der Nonne bis zur Braut (6456, 3.500 €). Auch bei den Zeichnungen des 16. bis 19. Jahrhunderts ist es ein Portrait, das für Aufsehen sorgt. 1847 begegnet der Kölner Johannes Niessen in Rom einem dem Ideal klassischer Schönheit entsprechenden jungen Mann, der viele Künstler, darunter Feuerbach und Degas, in seinen Bann zog. Allein dank Niessen wissen wir, dass das Modell aus Subiaco stammte und Giacomo Orlandi hieß. Dieser junge Gott und Naturbursche hat bis heute nichts an Faszination eingebüßt (6762, 18.000 €). Fast 150 Jahre vor Niessen zeichnet der Venezianer Piazzetta einen seiner berühmten „teste di carattere“, eine Kopfstudie, die einen jungen Mann im Profil zeigt. Sie ist als Charakterstudie zu verstehen, die – von der Realität losgelöst – zu Betrachtungen über Alter, Schönheit und Introversion anzustiften vermag (6662, 18.000 €). Weitere Höhepunkte des Katalogs: das Aquarell Le Port de Marseille von Signac (6791, 18.000 €), ein männlicher Akt von Tiepolo (6652, 12.000 €) und ein Alterswerk des bedeutendsten österreichischen Aquarellisten des 19. Jahrhunderts Rudolf von Alt (Brautpaar im Chor der Breitenfelder Pfarrkirche in Wien, 6787, 12.000 €). Den schönen Männern in dieser Auktion mag man aus Gründen der Geschlechtergerechtigkeit auch eine Frau an die Seite stellen: Krügers Bildnis der Auguste von Harrach zeigt die Fürstin von Liegnitz im Reitkostüm, ihr Blick etwas von oben herab, die Gerte locker in der Hand (6744, 6.000 €).
Liebermanns 1901 entstandene Studie Tennisplatz am Meer belegt die Hinwendung des Künstlers zu einem neuen Motiv: das Strandleben mit dem jüngst aufgekommenen „Lawntennis“ an der niederländischen Nordseeküste (8007) – mit 75.000 € Schätzung ein Highlight des Kataloges Moderne und Zeitgenössische Kunst. Immendorffs großformatiges Selbstporträt mit Muse von 1994 spielt in der dem Maler eigenen spezifischen Ironie auf den antiquierten Topos des Selbstbildnisses an: Der Künstler mit einer nackten Frau in den Armen vor grellem Hintergrund (8229, 40.000 €). Was sich bei Immendorff andeutet, ist bei Munch bereits geschehen: Seine skandaltaugliche Kaltnadelradierung Am Tag danach entwirft eine intime Szenerie mit einer vom Rausch völlig erschöpften jungen Frau (8002, 30.000€). Weitere herausragende Positionen des Kataloges sind 99 Radierungen von Marwan (Suite der Köpfe, 8253, 30.000 €), Emy Roeders Messingbronze Stute und Fohlen (8047, 24.000 €), Topps kubistischer Maskenball Vertreibung aus dem Paradies (8064, 20.000 €) und sein Blick ins Aquarium (8062, 12.000 €), ein Weiblicher Rückenakt von Rohlfs (8030, 18.000 €) sowie Werke von Geiger, Nauen, Mueller, Feininger, Nolde, Gonschior, Lüpertz (die Bronze Hölderlin, 8261, 12.000 €), Uecker und Feininger.
Traditionell am Ende der Saison steht die Fotografie am letzten Auktionstag. Kawadas Chiizu. The Map, zum 20. Jahrestag der Zerstörung Hiroshimas erschienen, gilt als das „most brilliantly designed Japanese book of its century“ (4222, 15.000 €). In der Abteilung 19. Jahrhundert sind neben zwei Portfolios mit Landschaftsaufnahmen und Portraits indigener Bewohner Perus und Australiens (4004, 9.000 € und 4009, 4.000 €), ein chinesisches Souveniralbum (4131, 4.000 €) und eine sehr frühe großformatige Ansicht von Monaco höchst bemerkenswert. Die Brachen Monacos sind mit 3.500 € geschätzt (4062). In der Moderne herausragend: Drtikols Frauenakt mit Schädel (4141, 7.000 €), Burchartz’ Portrait seiner Tochter Lotte (4126, 5.000 €) und das Fotobuch Dutch Details von Ruscha (4304, 5.000 €). Das letzte Foto der Auktion zeigt das Luftschiff Graf Zeppelin über dem Berliner Dom, ein schwebender Zigarrenschatten über einem preußischen Taj Mahal (4361, 600 €). So fremd, so nah. |