Losnummer: 2302
Höchst wertvolle Reihe gehaltvoller Briefe aus dem krisenhaften Jahr 1933 an die in Paris ansässige Journalistin Käthe von Porada (1891-1985), die 1924 von Max Beckmann porträtiert worden war, sich später mit Gottfried Benn befreundet und allmählich eine immer engere Beziehung zu ihm gewonnen hatte. Der Dichter ist sichtlich bemüht, gegenüber der intellektuellen Autorin galanten Stil mit geistreich-philosophischen Bemerkungen und Betrachtungen zu verbinden, die wichtige Einblicke in sein Denken, sein Werk und seine Persönlichkeit bieten. "... damit Sie nicht mit zu schlechten Eindrücken von mir abreisen, sende ich Ihnen hier noch etwas Mildgewordenes und Kosmisches, aber wollen Sie sicher sein, auch das Böse u. Grausame gehört zu 'des Mannes dunklem Weg'. Vergessen Sie überhaupt nicht, wie einsam alle diese Dinge sind, wie schwer erkauft, was für eine Athmosphäre [sic] von Fragwürdigkeit auch um die vollendetsten liegt, wie sie einander aufheben schon im Zug eines einzelnen Lebens, Kunst ist doch nie vorbildlich, sondern immer extraordinär [4.VII.1933] ... Bin sehr froh, daß Sie gut zu Hause angekommen sind. Vielleicht rufe ich [Max] Beckmann an, würde gern jemanden sehn, der Sie kennt, bin aber nicht sehr erpicht auf neue Menschen, gehe ja nirgends hin ... kürzlich fiel mir ein, dass ich garnicht wusste, was für Schuhe Sie eigentlich trugen, sonst weiss ich alles. - Eine meiner Lieblingsstellen von mir ist jenes Sopransolo im 1. Teil des Oratoriums ["Das Unaufhörliche", vertont von Paul Hindemith]: 'wenn es in Blüte steht ...' u.s.w. Sowas kann man nicht machen, sowas entsteht. Ewiger Traum, dass man etwas nicht macht, sondern dass es entsteht [9.VII.1933] ... Mit sowas sitzen Sie und reden über mich? Hat mir unzählige Manuskripte und Briefe geschickt, zum Schluss Anpöbeleien, soweit ich es las. Ganz grosser Dilettant ... Ich wiederhole die Bitte, dass Sie mir das Stück schicken ["Die Heiligen", Käthe von Poradas Märchenspiel in gebundener Sprache]. Ich werde es mit zarten und zärtlichen Augen lesen, ganz freundschaftlich [10.VII.1933] ... Danke tausendmal für die Valéry Gedichte. Soviel Mühe für Sie! Ich ersehe aus ihnen alles, was mich interessiert. Mein Instinkt hat wieder recht. Nach 'Herrn Teste' [Valérys Roman "La Soirée avec Monsieur Teste", 1896] hielt ich nämlich wenig von ihm, jetzt noch weniger. Natürlich nur als Deutscher, d. h. als einer, der mit anderem Sprachmaterial arbeitet, anderes aus der Sprache entwickelt u. in sie verlegt. Z. B. arbeitet er viel mit Adjectiven, was ich horrend finde in der Lyrik. Lyrik ist ejakulativ, fast nur Hauptworte, kaum selbst Verben! Dann ist seine Lyrik etwas überraschend u. geistvoll, kapriziös u. enthüllt eigentlich nur altmodische Seelenrestbestände. Er räumt das Lager noch mal durch. Also alles in Allem niemand, der mich überwältigt ... Morgen bei der Schillingstrauerfeier [zum Tode des mit Benn befreundeten Komponisten, Staatsopern-Intendanten und Präsidenten der Akademie der Künste, Max von Schillings] muss ich reden. Schreckliche Sache. Mache es kurz u. sehr allgemein. 'Beschwörend' ... Es reden eine Menge Leute noch ausserdem. Die Witwe bat mich drum. Sonst ab dafür. - Es ist tödliche Stille, im Geschäft, im Privaten, im Telefon, in der Post - wenn Ihre Briefe nicht wären, die blauen, zärtlichen mit der wunderbaren (manchmal etwas schwer zu lesenden) Handschrift! Merkwürdig, wie zwei Menschen, die sich doch kaum, oder wenig kennen, einander in Spannung halten, wenigstens Sie mich ..." [26.VII.1933].
Am 9. August schreibt er nach Italien: "... Sie reizendes Geschöpf, manchmal wenn ich Sie mir vorstelle, finde ich Sie selten bezaubernd. Warum laufen Sie eigentlich frei herum? ... Über den letzten Brief von mir sind Sie sicher entsetzt: zu wild, zu nordisch. Dabei denke ich ja aus bestimmten Veranlassungen manchmal, dass ich mit meinem 50 % unverfälschtem, nie durchkreuztem romanischen Blut gar nicht zuständig bin für allerlei Fragen hier. Will man das Dicke u. Nebulose - gut. m'en fiche. Verwechselt man das Gliedernde, Formale mit Spielerei u. Artistik - gut. m'en fou. Will man Handfestes, Schollengeruch - bien. m'en moque. Nur soll man mir nicht weis machen, dass der Mensch welchen Volkes immer, was anderes sucht als Esoterisches. Er will sich natürlich auch unterhalten mit Büchern u. Musik. Aber nie verlässt ihn die Suche nach der Transzendenz, nach dem, wo es 'hinübergeht' ...". - Hier folgen in dem Brief zwei Strophen (16 Zeilen) aus Benns Gedicht "Du mußt dir alles geben", gefolgt von dem Hinweis "für Kati 2 Verse, da sie sommerlich sind [9.VIII.1933] ... Ich war drei Tage in Warnemünde, habe gebadet, war herrlich ... Nach Norden reise ich Ende August, Anfang September, es sei denn, dass meine Tochter Nele herkommt. Ich zittre davor, vor beidem, ich als Vater: völlig widernatürlich, gezwungen, Prokrustesbett ...". - Es folgen, nach dem Hinweis "Gedicht für Kati", maschinenschriftlich 9 vierzeilige Strophen: "Durch jede Stunde / durch jedes Wort / blutet die Wunde / der Schöpfung fort - verwandelnd Erde / und tropft den Seim / ans Herz dem Werde / und kehret heim ... Ein Tausch, ein Reigen, / ein Sagenlicht, / ein Rausch aus Schweigen - / mehr giebt es nicht." In der Druckfassung weicht die vorletzte Strophe von der im Brief etwas ab. - Fragt nach dem Erlös ihres roten Kleides: "... Ich meine Gefallen, Glück, Furore, Sensation? Ich meine manches, aber alles im Rahmen u. in Proportion zum 'reizenden Geschöpf', das ich so verehre u. von dem ich sicher bin, dass es die zarteste u. kultivierteste Lady ist am Tyrrhenischen Meer. Und der ich mich zu Füßen lege als ihr treuer Bernhardiner [14.VIII.1933] ... War mehr als erkältet: tief erkrankt, schwerer Stoß ins Zentrum, Absinken, Altern ... Heute geht es mir besser. Das Hiersein meiner Tochter strengt mich auch enorm an. Bin so absolut nicht gewohnt, ununterbrochen mit jemandem zu reden u. zu sein. Die grösste Anstrengung, die mir vorstellbar ist. Morgen ist es vorbei: Dabei ist sie ein ganz reizendes kluges Wesen, mir sehr verwandt. - Schrecklich, was das Leben einem alles an Zerstreuendem u. Ablenkendem auferlegt, statt dass man immer konzentriert sein kann. - Dann ein neuer, schwerer, man kann schon sagen übler Angriff in einem neuen Emigrantenblatt gegen mich: Ich bin u. habe: Tücke, Niedertracht, Mangel an Scham, Mangel an Geist, letzter Tiefstand, halb pathologisch, halb gemein, ekelerregend, hysterisch, Raserei der Brutalität usw. ..." [14.IX.1933]. - Der letzte der hier vorliegenden Briefe ist nach Piestany in der Slowakei gerichtet, wo Käte in einem Hotel des Thermalbades wohnt. "... Ich sass nicht nur in Arbeit, ich hatte Krach, musste mich meiner Haut wehren nach den verschiedensten Seiten, Briefe diktieren, eine Rundfunksache arbeiten, Proben dazu mitmachen (mit Musik), sehr viel in der Praxis zu tun, seit langem endlich mal wieder, kurz: Gedenken an Kati eine Fülle, aber keine Ruhe zum Schreiben und Betrachten ... Alles in Ordnung, chère Kati, Bestens! Nur innerlich zum Bersten mit Trümmer u. Modder angefüllt. Muß arbeiten ..." [21.X.1933].
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