Losnummer: 659
Schiller, Friedrich; Dichter (Marbach am Neckar 1759-1805 Weimar). E. Manuskript. Fragment aus "Phädra". (Weimar 1804/05). 210 x 105 mm (am unteren Rand beschnittenes ehem. Folioblatt). Mit brauner Tinte beidseitig beschrieben zu je 8 Zeilen, verso eine Korrektur. Leicht vergilbtes Bütten ohne WZ. Recto am linken Rand von fremder Hand in schwarzer Tinte der Zusatz: Autograph von Friedrich Schiller. (Bruchstück aus - Rest abgeschnitten.
(Zwei Knickfalten).
Vgl. Schillers Werke, Nationalausgabe, Bd. 15/II, S. 652f. (H2o und h1/h2). - Fragment mit den Versen 914-920 u. 939-946 (3. Aufzug, 3. Auftritt):
recto: (Phädra)
In Ruh einwiegte oder aller Schaam
Mit eherner Stirne nie erröthend trozte.
Mein Unrechr kenn ich, es steht ganz vor mir.
Schon sehr ich diese Mauern, diese Bogen
Sprache bekommen, und, mich anzuklagen
Bereit, des Gatten Ankunft nur erwarten,
Furchtbares Zeugniß gegen mich zu geben!
verso: (Oenone)
Was werd ich ihm antworten, wenn er nun
Als Kläger auftritt? Ach ich muß verstummen!
Er aber wird sich seines gräßlichen
Triumphs mit Uebermuth erfreun, und jedem
Ders hören will von deiner Schmach erzählen.
Eh dieß geschieht, zerschmettre mich der Blitz!
– Sag mir die Wahrheit. Ist er dir noch theuer?
Mit welchem Auge siehst du jetzt den Stolzen?
Das Fragment gehört zweifellos zu dem im Schiller Nationalmuseum aufbewahrten Bruchstück H2o, dessen zwei Zeilen offenbar den Schluss des vorliegenden Autographen bilden. Dies wird sowohl an den genau zusammenpassenden Schnittkanten als auch an der auf dem Marbacher Blatt fortgeführten seitlichen Hinzufügung von fremder Hand "d Phaedra)" deutlich. Außerdem bricht der Querfalz das Blatt unterhalb der Mitte. - Von unserem Fragment existiert eine Pause von einem Teil der Rectoseite sowie eine Nachschrift im Weimarer GSA ("Nachahmung (Gerstenbergks?) auf glattem Velinpapier mit imitierten Korrekturen"), diese noch mit den später abgeschnittenen zwei Schlusszeilen.
Schiller arbeitete an der Übertragung der französischen Vorlage von Jean Racines "Phèdre" seit Mitte Dezember 1804. Bereits am 14. Januar 1805 notierte er in seinem Kalender "werde (…) mit der Phaedra fertig, nach 26 Tagen". Fristgerecht zum 30. Januar sollte die Übersetzung der klassischen Tragödie zum Geburtstag der Herzogin Louise unter Goethes Leitung in Weimar uraufgeführt werden. Die Krankheit zum Tode hatte während dieser Zeit längst von Schiller Besitz ergriffen. - Man kann zwei Phasen der Übersetzung unterscheiden, die durch die Fassungen H1 und H2 gekennzeichnet werden. Erstere bietet die erste Niederschrift, die zweite eine korrigierte Fassung in Reinschrift, die möglicherweise die Vorlage für eine Abschrift war, welche wiederum als Druckmanuskript diente. Unser Fragment gehört der Fassung H2 an. Es enthält zur Druckfassung außer orthographischen Varianten eine stärkere Abweichung in Vers 914 und eine Textkorrektur in Vers 919.
Von Schillers vollendeten Dramen und seinen großen Abhandlungen ist kein einziges vollständiges Manuskript von eigener Hand überliefert. Der Dichter hat zu Lebzeiten alle Spuren ihrer Entstehung vernichtet; nur das vollständige Werk sollte vom Kunstwillen seines Schöpfers Zeugnis ablegen.
In seinen letzten Lebensmonaten fehlte dem Todkranken jedoch offenbar die Energie, alle Arbeitsmanuskripte zu beseitigen. So sind seine letzten Dramen „Wilhelm Tell“ und „Phädra“ sowie sein unvollendet gebliebener „Demetrius“ als eigenhändige Handschriften erhalten geblieben – allerdings nur als Bruchstücke.
Nach Schillers Tod war sein Ruhm gewaltig angewachsen und es herrschte eine rege Nachfrage nach Souvenirs des Dichters. Dies bewog die Witwe und Nachkommen, die wenigen überlieferten Arbeitsmanuskripte Schillers, als zerschnittene Streifen der Foliobögen an die Verehrer des Verstorbenen zu verteilen. - Von den 1798 Versen der Phädra-Übersetzung ist knapp die Hälfte in handschriftlichen Fragmenten Schillers bezeugt, die sich verstreut in Archiven, Bibliotheken und Privatsammlungen befinden. – Aus dem Nachlass des Weimarer Hofschauspielers Pius Alexander Wolff (1782-1828), wahrend dessen Engagements unter Goethe das Drama in Weimar uraufgeführt wurde.
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