Anthony McCall beschäftigt sich bereits seit Anfang der 1970er Jahre mit dem Medium Film und setzt sich dabei mit Raum, Architektur und Zeit auseinander. Der britische Film- und Lichtkünstler zählt auf dem Kunstmarkt zu den Wiederentdeckungen der letzten Jahre, obgleich seine Arbeit seit über dreißig Jahren einen großen Einfluss auf Künstlerkollegen ausübt und in ihrer zeitgenössischen Relevanz unumstritten ist.
Die Arbeiten des in New York lebenden Künstlers sind Hybridformen aus Performance und Experimentalfilm, die das Verhältnis von Zuschauer und Werk untersuchen und erweitern. Bei der frühen Dia-Installation Miniature in Black and White von 1972, handelt es sich um das erste Kunstwerk, das McCall in seinem künstlerischen Schaffen ausgestellt hat. Die Arbeit war in ihrem Entstehungsjahr im Gallery House in London, 2004 im Centres Georges Pompidou / La Maison Rouge in Paris sowie zuletzt 2007/2008 in der Retrospektive im Musée départmental d'Art contemporain de Rochechouart in Frankreich und in der Londoner Serpentine Gallery zu sehen. Neben Miniature in Black and White sind in der Ausstellung SEEING DOUBLE aktuelle Graphit- und Bleistiftzeichnungen des Künstlers ausgestellt, welche als Studien zu seinen neuen Installationen Projected Column und Crossing entstanden sind.
Die Film-Installationen von Anthony McCall sind graphisch motiviert, werden filmisch verwirklicht und entfalten einen plastischen Effekt. Auf den einzelnen Bildern (Frames) einer Filmrolle entwickelt sich kontinuierlich eine Form, die durch den Filmprojektor in einen Nebel verhangenen Raum geworfen wird. Indem sich das Licht im Nebel fängt, entsteht eine durch Licht geschaffene Rauminstallation, die sich mit der Entwicklung der Linie im Film langsam verschiebt. Mit seiner einflussreichen Arbeit „Line Describing a Cone“ (1973) hat McCall die Bedeutung von Licht und Luft paradigmatisch zum Thema gemacht. Über einen Zeitraum von 30 Minuten entsteht ein Ring, der als projiziertes Licht den Lichtkegel des Projektors wie als Tunnel räumlich nachvollzieht. „Doubling Back“ (2003) und „You and I, Horizontal“ (2005) sind Weiterentwicklungen dieses ursprünglichen filmischen Projekts. In ihnen entstehen Lichträume metaphorisch als sich verschränkende Wellen. Die Entfaltung der Linien und ihr Widerspiel lassen komplexe Zeiträume entstehen. Anstelle einer bloßen Linearität der Zeit sind in McCalls filmisch bewegten Linien deren Interferenzen und Falten konnotiert. Auf diese Weise spiegeln seine Timelines gerade die Ereignisdimensionen zeitlichen Geschehens.
Die historische Spannweite aus Gegenwart und Tradition wird ergänzt durch die mediale Vielfalt, die Anthony McCall immer wieder in einem einzigen Akt vereinigt. Seine Filminstallationen entfalten, als Ensembles von diversen Medien und Genres. McCalls Arbeiten sind zugleich Graphik, Film, Installation und mobile Skulptur. Sie verfahren kontrastreich im Umgang mit Licht und Dunkelheit, formal reduziert und sind dennoch von komplexer Dramaturgie. Auf diese Weise steht McCall im Kontext der Konzeptkunst und Minimal Art im Umfeld von Carl Andre, Sol Lewitt und Donald Judd, inspirierte seinerseits Anarchitekturen Gordon Matta-Clarks. Sein Werk kann als ein Schlüsselmoment des Experimentalfilms gelten und korrespondiert als Lichtkunst ebenfalls mit Arbeiten von Dan Flavin oder James Turrell. Die Lichtinstallationen Anthony McCalls, die seit den frühen 1970er Jahren mit der plastischen Wirkung von Licht und Nebel experimentieren, sind insbesondere in den letzten Jahren zu einem Highlight des internationalen Kunstgeschehens geworden.
Neuere Arbeiten McCalls gewinnen mit der komplexen Kommunikation und Metamorphose graphischer Formen eine narrative Dimension hinzu, die nicht selten – in trocken allegorischer Form – durch die Titel suggeriert werden. In der Horizontalprojektion „You and I, Horizontal“ näherten sich Linie und Kurve einander an, bis es zu einer verschwindend kurzen Vereinigung kam. Im Titel „Between You and I“ sind vergleichbare Analogien aus dem Feld eben zwischenmenschlicher Beziehungen angedeutet. Das „Zwischen“ sozialer Interaktion bekommt eine buchstäbliche Bedeutung.
Der Geniestreich McCalls besteht darin, dieses umfassend intermediale und narrative Programm mit den reduzierten Mitteln aus Nebel und Licht zu realisieren und dabei jeden Kommentator seiner Arbeiten durch die sinnliche Präsenz seiner Arbeit schlichtweg in den Schatten zu stellen. Das Raumerleben der Lichträume McCalls ist in letzter Instanz unbeschreiblich, weil es sich auf der Ebene synästhetischer Raumwahrnehmung im Nebel und Dunkel der Atmosphäre vollzieht. Das ambitionierte Programm des ästhetischen Modernismus wurde selten so prägnant gefasst wie in Mies van der Rohes Formel: Less is more. McCall macht aus dem Wenigen von Licht und Nebel unendlich viel. Er ist ein Virtuose geometrisch exakter Gedankenführung, der mit Licht und Geometrie Geschichten schreibt.
Seine metaphorischen Lichträume eröffnen dem Betrachter buchstäblich einen Spielraum, einen Erfahrungsraum. Im Boulevard der Kölnmesse deuten die beiden vertikal auf den Boden projizierten Lichtkegel noch ein weiteres an: sie erinnern an Spotlights und machen den Betrachter zu einem Akteur, der sich auf einem fortwährend ändernden Grund zu bewegen hat. Tatsächlich kennzeichnet diese Praxis jeden ambitionierten Umgang mit dem Kunstgeschehen.
(Textausschnitte von Johan Frederik Hartle, Kunsttheoretiker)
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