Das Thema der Wahrnehmung des Alltags bildet auch den Kern der Arbeit Paul Thuiles, der die Rezeptionsmechanismen einem mehrfachen Verfremdungsprozess unterzieht. Dieser Prozess geht von einem beobachteten Objekt aus – das kann das Detail einer Badewanne sein, eines Regals, eines Haustelefons, irgendeines Einrichtungsgegenstandes – das in einer Zeichnung reproduziert wird, die alle Regeln der linearen Zentralperspektive aufhebt. Die durch Eckperspektive verzerrte Annäherung beabsichtigt, die Aufmerksamkeit auf die jeweils individuelle Beziehung zu lenken, die sich zwischen betrachtendem Subjekt und dem betrachtetem Objekt ergibt. Diese Zeichnungen werden nicht etwa auf einer Papierunterlage, sondern direkt auf den Wänden der Räume ausge-führt, in denen die Objekte sich befinden: normalerweise verlassene, zum Abriss bestimmte Ge-bäude. Der Vinschgauer Künstler untersucht die gewohnten Wahrnehmungsmechanismen zudem noch eingehender, indem er das Objekt und seine grafische Interpretation in einer Fotografie fest-hält. Der Fotografie kommt die Aufgabe eines kritischen Instruments zu, das dazu dient, unsere Anschauungsgewohnheiten in Frage zu stellen, und diese begnügt sich nicht mit einer einfachen Dokumentation. Eine nicht unbeträchtliche Komponente von Paul Thuiles Arbeit bildet auch die Bearbeitung von Erinnerungsspuren: dabei geht es nicht um eine feierliche, allumfassende Erinne-rung, sondern um eine intime, alltägliche. Die Gegenstände, die zusammen mit einem altaen Haus der Zerstörung anheimfallen, sind unspektakulär, alltäglich – und sie könnten Teil unseres eigenen Lebens gewesen sein. Der Künstler von heute neigt weniger dazu, ein kollektives Gedenken feier-lich zu begehen; stattdessen erachtet er es als nötig, das Außerordentliche in der vertrauten häusli-chen Erinnerungssphäre aufzusuchen. Das entspricht auch der großen Idee des Austausches zwi-schen Kunst und Leben, wie das zwanzigste Jahrhundert sie verstand.
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Letizia Ragaglia
entnommen aus dem Katalog "Ver-dichtung des Alltags", Stadtgalerie Bozen, 2000
2004 Adamgasse 7a, Galerie Elisabeth und Klaus Thoman, Innsbruck
2004 Galerie Photology, Mailand
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)
1988 Junge Kunst, Galerie Museum, Bozen
1993 Panorama - Junge Kunst, Messehalle Bozen
1995 Objektsprachen - Oggetti e Linguaggi, Südtiroler Designer stellen aus, Galerie Prisma, Bozen
1998 Motive der Stille, NÖ Dokumentationszentrum für Moderne Kunst, St. Pölten
2000 Ver-dichtungen des Alltags, Stadtgalerie Bozen
2001 Centro Friuliano Arti Plastiche, Udine
Künstlerbrücken, Stadt Bozen
2002 Quattro venti, 13 Künstler arbeiten und stellen in der Stadt Manciano, Toskana, Italien aus
Zeichnung versus Fotografie, das Museum moderner Kunst Bozen präsentiert drei Künstler
Raum ohne Raum, Kulturallianzen, Köln (Kuratorin: Barbara Hofmann)
Spazio aperto al disegno, Galleria d'Arte Moderna Bologna (Kurator: Peter Weiermair)
2003 Spazio aperto al disegno, Sala Murat, Piazza del Ferrarese Bari (Kurator: Ludovico Pratesi)
2004 Punktleuchten, Eine Kunstintervention im Hotel "Drei Könige" Basel (Kurator: Littmann Kulturprojekte)