1961
geboren in Maastrich, NL
Autodidakt
Rik van Iersel lebt und arbeitet in Eindhoven, NL
Weitere Informationen in Text und Bild finden Sie auch auf unserer Homepage
Die Kraft der Negation.
Vielleicht sollen wir alle zu nonaffirmativen Künstlern werden.
Text: Marc Peschke
"Die Geschichte wird von denen gemacht, die Nein sagen." (Jon Savage)
Vor kurzem ist beim Münchner Label "Trikont" der definitive Soundtrack des 20. Jahrhunderts erschienen. Und wie der klingt? Scharfkantig, nervös, hektisch, düster, hart. Diese Musik ist nicht neu, ganz im Gegenteil. "England's Dreaming. 25 Tracks before, during and after Punk", die persönliche Zusammenstellung des englischen Autors Jon Savage, ist ein historisches Dokument über die Punkbewegung. Eines von vielen, doch ein besonders gelungenes.
Der englische Traum der späten siebziger Jahre war - neben vielem anderen, neben Mode, Politik und Musik - auch eine Kampfansage an eine überkommen geglaubte Ästhetik. Punk war, um den etwas abgestandenen Begriff doch noch einmal zu verwenden, Destruktionskunst im besten, Benjaminschen Sinn: Der Mensch, der etwas über den Haufen schmeisst, der macht Platz für etwas Neues.
Die Geschichte von Punk, Postpunk bis heute hat gezeigt: Die künstlerischen Ereignisse der Punkjahre wirken nach. Nicht nur in den unzähligen Revivals, Reunions, Badges, Nietengürteln, Irokesenschnitten, nicht in der ganzen Mode, dem Design und den Nostalgieprodukten, die den Markt gerade seit zwei, drei Jahren wieder überschwemmen. Nicht, weil auch heute mal wieder kaum eine neue, coole Rockband darauf verzichtet mag, sich einen einfachen, punkigen Namen mit einem "The" davor zu geben. Nicht in all dem Zierrat steckt Punk, sondern tiefer: in der Lust am trotzigen "DIY" - am Do It Yourself. In der Lust, zu sagen: Das was Ihr könnt, das kann ich auch. Aber besser. So, dass mehr Leben drin steckt.
Die Kunst des Niederländers Rik van Iersels ist so sehr punk, dass man beinahe die gleichen Worte dafür benutzen kann. Man könnte sie beschreiben, wie einen Song von "The Fall", die englische Band um den Exzentriker Mark E. Smith, die Rik van Iersel überaus schätzt und nach deren Album "The 27 Points" er einmal eine Ausstellung benannt hat. Die Adjektive dazu wurden bereits genannt: scharfkantig, nervös, hektisch, düster, hart. Man könnte noch ein paar mehr finden: Dunkel, grollend, splitternd, schlingernd.
Einschub gleich jetzt: Wenn von Rik van Iersels "Kunst" die Rede ist, meint das: ein unüberschaubares work in progress aus Collagen, Gouachen, Karikaturen, Kritzeleien, Zeichnungen, Skizzen, Installationen, Musik, Videoarbeiten, großen Arbeiten auf Leinwand oder Transparentfolie - und vielem, was sich ganz der Beschreibung entzieht. Ein aus dem Atelier gezerrter Wust, der aus Filzstiften, Wasserfarben, Ölfarben, DVDs, aus Instrumenten und Videobändern fließt. Van Iersels System kennt keine Grenzen, vor allem keine Grenzen der Medien: Film- und Videoprojektionen eigener kleiner Trickfilme, die sich aus Zeichnungen entwickeln, gehören ebenso zu van Iersels Kunst wie die eigene Musik, die er im Rahmen von Festivals und Ausstellungseröffnungen mit verschiedenen Besetzungen und Gastmusikern spielt. So entsteht eine hektische Kakophonie aus Filmbildern, Malerei, Zeichnung und unzähligen schrägen Tönen und Klängen, die sich immer mehr zu einer mutimedialen Collage verdichten. "So entsteht eine ganz neue Malerei", sagt Rik van Iersel. Van Iersels Idee ist das Gesamtkunstwerk. Oder besser: Die negative, punkrockige Antithese dazu.
Van Iersels Werk ist nicht chaotisch. Vielleicht ein bisschen. Es ist nicht kindlich. Vielleicht ein bisschen. Sein Strich ist krackelig, kritzelig und doch wieder nicht: an manchen Stellen geradezu virtuos. Er hat nicht Kunst studiert, was in seinen Arbeiten nicht stört, aber vielleicht auch nicht sonderlich hilft. Doch zugegeben, es gibt eine Genealogie dieser Kunst. Man sieht, dass der 1961 geborene van Iersel lange Jahre Comics gezeichnet hat, in Bands mit Namen wie "Der junge Hund" (!) spielte und Plattencover gestaltete.
Do It Yourself: Nimm' eine alte Hotelrechnung, einen mit Schreibmaschine geschriebenen Brief oder ein paar Notenblätter. Mach' sie zur Kunst. Mach' daraus Masken mit Knopfaugen und Schweinenasen, mach' daraus spickzettelgroße Trash-Capriccios! Mach'! Mach'! Und van Iersel macht. Muss man die Vorbilder der Kunstgeschichte nennen? Dada, Expressionismus, Art Brut, Surrealismus, die jungen Wilden, Jean Dubuffet, Wols und Cy Twombly im grellen Miteinander. Und natürlich die ganzen anderen: die Bands, die van Iersel gesehen hat, die Comics und Bücher, die er gelesen hat, die Filme, die er gesehen hat: Das gehört alles zusammen.
In Jon Savages Buch "England's Dreaming" (es trägt den gleichen Titel wie die CD) spricht der Autor von einer "Secret History" des Punk. Von einer Geheimgeschichte. Von den vielen Vergessenen, die nicht von Jeansfirmen ans Licht gezerrt wurden und als Rebellen heute über Flachbildschirme torkeln müssen. Aber es gibt noch eine andere Geheimgeschichte, die sich bis heute fortschreibt - und in der auch ein kleines Kapitel über einen wie Rik van Iersel steht.
Das ist die Geheimgeschichte einer Kunst, die nicht zu allem stets ja sagt, die lieber borstig bleibt, als sich anzuschmiegen, die kratzt, die weh tut und nicht über jedes Sofa passt. Eine Kunst, die immer wieder auf die Kraft der Negation setzt, die überall enstehen kann - überall, wo sich der Himmel zuzieht, wo Zweckoptimismus nicht mehr hilft. Van Iersels Kunst ist eine, die auch den Verfall zum Thema macht, die nicht so hoffnungsfroh in die Zukunft blickt wie die bunten Bilder, die nichts können als perfekte Oberfläche zu sein.
"No Future" war die Warnung an all jene, die erzählen wollten, dass nur Konsum glücklich macht. (Über die Zukunft konnte Punk herzhaft lachen, wie etwa "The Weirdos" aus L.A., die auf der A-Seite ihrer zweiten Single verkündeten, die Neutronenbome zu besitzen.) Und auch van Iersel beschreibt die Welt im Slogan, zischt spöttisch die Schlagworte. In den besten Momenten scheppern seine Bilder so selbstzerstörerisch und illusionslos wie ein höllischer Kater.
Und noch einmal zurück zu Punk, alle Jazzfreude und Sting-Fans mögen bitte verzeihen. Jon Savage beschreibt Punk in seinem Buch als Inszenierung eines Chaos - ein Satz, der auch für Künstler wie Rik van Iersel zweifellos Sinn macht. Denn van Iersel schleudert dem Betrachter etwas entgegen, was diesen stutzig machen sollte, wenn er Augen im Kopf hat: nämlich die Welt selbst. All den Horror, die Entfremdung und Bedrohung - das Zerbrechen und Scheitern am Leben.
Und vielleicht will van Iersel sogar noch mehr: Vielleicht sollen wir alle mitmachen, alle zu nonaffirmativen Künstlern werden. Vielleicht so, wie es Mark Perry, der Macher des ersten englischen Punk-Fanzines "Sniffin' Glue" im Jahr 1976 geschrieben hat - wiederentdeckt von Conny Lösch im Beiheft zur "England's Dreaming"-CD: "Ihr Kids da draußen, die ihr SG lest, gebt Euch nicht mit dem zufrieden, was wir schreiben. Geht und macht euer eigenes Fanzine oder schickt Besprechungen an die etablierten Zeitungen. Wir wollen richtig auf die Nerven gehen, den Markt mit Punk-Texten überschwemmen!" Oder, wie Jon Savage selbst meint: "Punk hat mich geprägt, weil ich ein Teil davon werden konnte."
Vielleicht will van Iersel aber noch viel, viel mehr. Vielleicht will er, dass Kunst und Leben gar keinen Unterschied mehr machen. Vielleicht will er, dass Galerien und Museen Orte des Lebens werden. Will Authentizität, auch wenn sie kryptisch, im Bild schwer lesbar, wenn sie ein Irrenhaus der Bilder ist. Authentizität. Was für ein Wort. Aber gibt es ein anderes für das Leben in der Kunst?
In der Kunsthalle Wilhelmshaven wird Rik van Iersel nicht nur Tafelbilder zeigen. Geplant ist eine Multi-Media-Präsentation, in der erstmals Gemälde mit transparenten, projizierten und bewegten Bildern sowie Musik zusammenwächst. Eigens für die Kunsthalle Wilhelmshaven wird der Künstler Arbeiten ganz neu schaffen. Das Venloer Museum Van Bommel Van Dam ist ab Dezember die dritte Station des Gemeinschaftsprojekts mit der Hamburger Galerie Borchardt, die van Iersel in Deutschland vertritt. Zur Ausstellung erscheint ein vom Künstler selbst gestaltetes Katalogbuch von 160 Seiten mit zahlreichen Farbabbildungen und kunstwissenschaftlichen Beiträgen.
26.9.-28.11.: Kunsthalle Wilhelmshaven: Rik van Iersel: "Transparancies"
10.12.-Februar 2005: Museum van Bommel van Dam, Venlo: Rik van Iersel
Die CD "England's Dreaming" ist bei "Trikont" erschienen.
Biographie●Ausstellungen●Arbeiten |
Aktuelle und vergangene Ausstellungstermine:
10.12.2004 Transparancy
28.10.2004 Galerie Peter Borchardt - Art Cologne
19.03.2004 Scribble for Life - Rik van Iersel
23.02.2005 Kunst Köln
23.02.2005 Kunst Köln
30.06.2006 "No Colours Today!"
01.11.2006 Galerie Borchardt: Art Cologne 2006
Weitere Termine:
[Auswahl]
2005
'Transparancy Wolk', Galerie Borchardt
2004
'Scribble for Life', Galerie Borchardt
'Transparancy Wolk', Kunsthalle Wilhelmshaven
'Transparancy Wolk', Museum van Bommel van Dam, Venlo
2003
Kunst Koeln (29.03.-06.04.03 bei Galerie Borchardt)
Kunsthalle Arnstadt (Eroeffnung 12.04.03)
Art Frankfurt (27.04.-01.05.03 bei Galerie Borchardt)
2002
Art Frankfurt (Galerie Borchardt)
'The 27 Points’, Kunsthalle Dominikanerkirche, Osnabrück (2.6.-11.8.2002)
Gemeinschaftsausstellung: MU Artfoundation, Eindhoven
De Krabbedans, Eindhoven
Galerie Willy Schoots, Eindhoven
Galerie Borchardt, "The 27 Points" Katalog (15.11.-8.02.2003)
2001
Galerie Borzo, 's-Hertogenbosch
Caldwell + Snjder, San Francisco, USA
2000
ART Frankfurt (bei Galerie Borchardt)
Galerie Borchardt, Hamburg "No Words Today"
Marek Zlotos, Karlsruhe
Art Miami (Caldwell + Snjder, San Francisco, USA)
1999
ART Frankfurt (bei Galerie Borchardt)
Galerie Tammen & Busch, Berlin
1998
ART Frankfurt bei Galerie Borchardt
Galerie Borchardt "One Way Or Another"
Gastprofessor an der Sommerakademie der Fachhochschule für Gestaltung Hamburg, "Pentiment", 20.7. - 8.8.98
Galerie Willy Schoots, Eindhoven
1997
Galerie Borzo, 's-Hertogenbosch
Galerie Tammen & Busch, Berlin
1996
Galerie Witteveen, Amsterdam
Saarländisches Künstlerhaus, Saarbrücken
Galerie Tammen & Busch, Berlin
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