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Vom Mittelalter bis Heute: Die Geburt Christi in der bildenden Kunst

Alle Jahre wieder



Bronzino, eigentlich Agnolo Tori, Anbetung der Hirten, um 1538

Bronzino, eigentlich Agnolo Tori, Anbetung der Hirten, um 1538

Als Leonardo da Vinci im späten 15. Jahrhundert sein berühmtes Gemälde „Verkündigung“ malte, da wusste er noch nichts von Cinemascope-Filmen und Breitwandfernsehern. Dennoch wählte der Maler rein intuitiv ein stark in die Breite gezogenes Format, das die dargestellte Szene fast filmisch wirken lässt. Am rechten Bildrand sehen wir Maria, die in einem prächtigen Gewand aus rotem, blauem und goldenem Stoff auf der Veranda einer toskanischen Renaissancevilla sitzt. Im Hintergrund befinden sich penibel in Form gebrachte Zypressen, und in der Ferne deutet sich ein mächtiges Gebirge an. Entscheidend aber ist der Besucher, der sich in einiger Entfernung kniend auf dem von Blumen übersäten Rasenstück vor ihr niedergelassen hat: Es ist der Erzengel Gabriel, der Engel der Verkündigung, der der offenbar leicht irritierten und verdutzt blickenden Maria die frohe Botschaft überbringt. In seiner linken Hand trägt er eine sogenannte Madonnenlilie, eine Blume, die aufgrund ihrer strahlend weißen Farbe als Symbol der Reinheit in der christlichen Formensprache gilt. Und mit der rechten Hand segnet der mit kräftigen Flügeln ausgestattete Himmelsbote die tugendhafte Jungfrau.


Bilder wie dieses gibt es viele in der Kunstgeschichte des Mittelalters und der Renaissance. Die Verkündigung, der Kindermord des Herodes, die Geburt Christi, die Anbetung durch die heiligen Drei Könige und die Flucht der heiligen Familie nach Ägypten illustrieren ein weites Themenfeld, das sich mit einem Begriff zusammenfassen lässt: Die Weihnachtsgeschichte. Motive aus der Weihnachtsgeschichte finden sich in fast allen Epochen der Kunstgeschichte.

Rund 40 Jahre vor Leonardo verlegt Rogier van der Weyden (1399-1464) seine Version der „Verkündigung“ (1431) in ein prachtvoll ausgestattetes Schlafgemach in einem noblen flämischen Bürgerhaus. Maria, vom Erzengel offenbar gerade in ihrem Bibelstudium unterbrochen, wird äußerst schlicht und würdevoll dargestellt. Sie trägt ein dunkelblaues, schmuckloses Gewand. Im Gegensatz dazu stehen das extrem filigran wiedergegebene Interieur und die aufwändige Ornamentik im Umhang des Engels. Überaus prachtvoll, aber in der bildnerischen Auffassung noch weitaus weniger fortschrittlich und modern malt um 1424 Meister Francke (um 1383-1436) ein für seinen „weichen“ Malstil bekannter Mönchsmaler, der nach vielen Lebensstationen gerade in das Hamburger St. Johanniskloster eingetreten war, seine „Anbetung des Kindes“. Das prachtvolle, in Rot- und Goldtönen gehaltene Bild zeigt eine blonde, fast nordisch aussehende Maria mit dem Strahlenkranz der Muttergottes. Vor ihr scheint das vollkommen nackte Jesuskind mehr über dem Boden zu schweben als darauf zu liegen. Eine Krippe jedenfalls gibt es nicht. Maria ist umgeben von rotgeflügelten Engeln. Ochs und Esel fressen genüsslich aus einem Trog, im Hintergrund nähern sich Hirten mit einer kleinen Schafherde, und vom roten, mit gleichmäßig verteilten Sternen geschmückten Himmel sendet Gott selbst aus einer Wolke heraus seinen Segen auf die Erde.

Bilder wie dieses aus dem dreiflügeligen Hamburger Thomasaltar stehen noch ganz in der Tradition der sogenannten Andachts- oder Anbetungsbilder. Sie dienten dazu, den Glauben durch das gefühlsbetonte Überwältigungspotenzial bildnerischer Mittel auch der schriftunkundigen einfacheren Bevölkerung zu vermitteln. Obwohl die Reformation das Wort über das Bild stellte, malte auch der mit Martin Luther eng befreundete Lucas Cranach d.Ä. (1472-1553), ein ausgewiesener Maler der Reformation, um 1520die „Geburt Christi“. Doch er beschränkt sich auf das Wesentliche und stellt den Gottessohn Jesus als irdisch durchaus verortetes, auf einfaches Stroh gebettetes Neugeborenes dar. Die im Freien angesiedelte Szene tritt aus dem Schwarz des nächtlichen Hintergrunds heraus. Beleuchtet wird sie lediglich von einer flackernden Kerze, die Josef mit einer Hand vorsichtig gegen den Wind abschirmt.

Charles Le Brun (1619-1690) wiederum, ein französischer Barockmaler, der für seinen verschwenderischen Louis-quatorze-Stil bekannt geworden ist, verlegt seine „Anbetung der Hirten“ (1689) in eine mit Menschen, Engeln und Wolken geradezu überladene, bühnenartige Szenerie. Die Schlichtheit des einfachen Stalles wird von der Opulenz der himmlischen Heerscharen und der spotlightartigen Lichtführung wieder vollkommen aufgehoben. Himmel und Erde scheinen in diesem Moment zu einer Einheit zu verschmelzen. Mit der aufkommenden Aufklärung im 17ten und 18ten Jahrhundert geraten andere, weitaus säkularere Themen in den Fokus der Künstler. Kunsthistorisch bedeutsame Weihnachtsdarstellungen aus dieser Zeit gibt es kaum.

Vom Heilsgeschehen zum sozialkritischen Realismus: Gegen Ende des 19ten Jahrhunderts wiederum entdecken moderne Maler wie der sozialkritische Münchner Realist Fritz von Uhde (1848-1911) das Thema neu. Sein brauntoniges Gemälde „Schwerer Gang“ (1890) zeigt in ungeschöntem Realismus, wie ein Mann und eine Frau bei neblig-trübem Winterwetter eine morastige Landstraße entlanggehen. Das Zimmermannswerkzeug auf dem Rücken des Mannes und die offenbar von Schmerzen gekrümmte Haltung der schwangeren Frau weisen die beiden als Maria und Josef aus. Zwei apathisch und hoffnungslos wirkende Gestalten am Vorabend der Moderne – von der weihnachtlichen Mystik und christlichen Erleuchtung vergangener Jahrhunderte scheint nichts mehr übrig geblieben zu sein. Fünf Jahre später dann verlegt der französische Südseemaler Paul Gauguin (1848-1903) die Geburtsszene auf seinem Bild „Te tamari no atua/Geburt Christi“(1895/96) in eine polynesische Hütte in seiner Wahlheimat Tahiti. Das Gemälde zeigt seine nur mit einem Hüfttuch bekleidete junge Geliebte Pahura, das neugeborene Kind ist der Sohn des Künstlers. Gauguin vermischt hier christliche Motivik mit polynesischer Lebensfreude, Sinnlichkeit und Folklore zu einem optimistischen und hoffnungsvollen Ganzen.

Eine der jüngsten, ungewöhnlichsten und provokantesten Weihnachtsdarstellungen stammt gewiss von der Pariser Fotokünstlerin Bettina Rheims, Jahrgang 1952. Sie siedelt die Geburtsszene 1998 kurzerhand in einer schäbigen Autowerkstatt unserer Tage an. Ölfässer stehen herum, Maria wird von einem hübschen Model dargestellt, Jesus schreit, die Schäfer mit Fez auf dem Kopf sehen aus wie nordafrikanische Einwanderer, und als Beleuchtung dienen die funzeligen Scheinwerfer eines alten Kleintransporters. Zu allem Überfluss hält Josef bereits ein älteres Kind auf dem Arm. Der Heiland womöglich als ungeplanter Neuzugang in einer Patchworkfamilie? Willkommen in der Gegenwart!



24.12.2022

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Nicole Büsing & Heiko Klaas

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