 |  | „Kunst“ und „Staat“ | |
Der weltumspannende Kreis musealer Einrichtungen vereint viele unterschiedliche Einzelaspekte, dem man sich über die Analyse ausgesuchter Teilbereiche methodisch annähern kann. Nach vielen Untersuchungen in den letzten Jahrzehnten, die diverse Gesichtspunkte des Museumswesens herausgegriffen haben, widmet sich nun eine kompakte dreibändige Paperback-Reihe des Paderborner Verlags Wilhelm Fink allgemein der Kunst als Kulturgut. Die kulturpolitischen Ansprüche an Kunstsammlungen und ihr Weg in öffentliche Museen, Kriterien, um hier Aufnahme zu finden, die Präsentation von Kunst sowie die Verknüpfung mit der Kunstgeschichte und die Reflexion der Musealisierung sind die hier diskutierten Themen, denen sich instruktive Aufsätze anzunähern versuchen.
Der unlängst erschienene zweite Band steht unter der Überschrift „Kunst und Staat“. Seine Aufsätze ergänzen bereits bekannte Thesen zum Aufbau von Museen, deren Fundus sich aus kirchlichen oder fürstlichen Besitzständen rekrutieren. Für die Expansion des Kunsthandels von erheblicher Relevanz ist, wenn die Autoren auf die Entstehung bürgerlicher Sammlungen im 18ten Jahrhundert eingehen. Im so genannten „sammelwütigen Säkulum“ entstanden nicht nur in den Residenzstädten viele Kunst- und Naturalienkabinette als Teil fürstlicher Repräsentation, sondern auch viele Standespersonen, Künstler, Gelehrte, Personen der begüterten bürgerlichen Mittel- und Oberschicht aus Juristen, Hofbeamten und Kaufleuten gaben sich der Leidenschaft hin, Kollektionen aller Art anzulegen.
Kuriosenkabinette konnten Bibliophiles, Naturalien, naturkundliche oder historische Artefakte, aber auch repräsentative Kunstwerke vereinen. Persönliche Neugier, Entdeckerfreude und wissenschaftliche Forschungen waren die Basis für die privaten Sammlungskabinette aller Fachgebiete. Überraschend mutet die Zahl an, dass im 18ten Jahrhundert in Berlin weit über 200 dieser Sammlungen existiert haben, Kollektionen, über die man heute gerne noch mehr wüsste.
Zum Sammeln gehörte natürlich auch das Handeln und Tauschen, so dass immer mehr der spezialisierte Händler in Erscheinung trat, der Münzen, Gemälde, Preziosen oder andere Dinge anbieten oder besorgen konnte. Sie und die gewichtigen überregionalen Sammler waren schon vor rund 300 Jahren eingespannt in ein Netzwerk: Man korrespondierte, erörterte neue Funde oder Tendenzen, informierte sich gegenseitig und bezog Erkenntnisse aus einschlägigen Zeitschriften wie Intelligenzblättern, Journalen oder weiteren Periodika, die es in der zweiten Hälfte des 18ten Jahrhunderts in Deutschland zuhauf gab.
Das Anlegen von Sammlungen war oft dem Gedanken der Gemeinnützigkeit verpflichtet, zudem auch patriotischen, vaterländischen oder bildungsmäßigen Ideen, so dass private Sammlungsbestrebungen in öffentliche Stiftungen mündeten. Die Stiftungen August Hermann Franckes in Halle stehen als Bespiel dafür. Sie waren öffentlich kostenfrei zugänglich, und dies wurde genutzt: 1721 wurden regelmäßig bis zu 60 Personen an einem Tag gezählt, während fürstliche Kammern wie beispielsweise die kursächsische in Dresden höchstens 600 Besucher adeligen Standes in einem Jahr anzogen. Letztere hatten zudem noch ein Entgelt zu entrichten, danach ihren „Degen abzugeben und die Schuhe zu fegen“.
Das Ausstellen von Bildern, ihre Hängung sowie die Konzepte und Theorien der Präsentationsformen sind weitere Inhalte der Erörterungen. Antwerpener Bildersammlungen zeichnen sich etwa durch ein Nebeneinander von verschiedenen Gattungen und ein Beweglichhalten der Präsentation durch auf dem Boden stehende Gemälde aus, die der Gast zurechtrücken konnte. Gänzlich verschieden davon sind die heute weitgehend auf den Genuss des separierten Einzelbildes hin abgestellten musealen Darbietungen. Das Erleben, die Erkenntnissuche und die Aufarbeitung von Themen beherrschten im 17ten Jahrhundert die Studioli der Humanisten. Trotz aller dichten Gedrängtheit der Darbietung stand die Anordnung der Gemälde nach Schulen, Künstlern und deren Entwicklung schon damals im Vordergrund.
Exemplarisch für die Überführung einer privaten Kollektion in ein öffentliches Museum behandelt ein ausführlicher Beitrag die Geschichte der Kölner Brüder Boisserée. Nach Jahrzehnten der Verhandlungen und Auslotung von Optionen konnte schließlich der bayerische König Ludwig I. die bedeutende Auswahl altniederländischer und altdeutscher Gemälde für sein Land gewinnen, nachdem die Preußen und Württemberger zwischen Bedenken, Kommmissionsbeurteilungen, Abwägungen, angeblichen finanziellen Knacknüssen und einer unsäglichen Bürokratie die Sache so lange hinauszögerten, bis die entscheidungsfreudigen Bayern zugriffen. Heute sind die erlesenen Stücke im Germanischen Nationalmuseum sowie in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen und deren Filialgalerien zu bewundern.
Weit über den deutschen Horizont blicken einige Beiträge, die sich mit Neugründungen von Museen in Frankreich, Österreich oder Großbritannien beschäftigen und deren Sammlungspolitik mit jener in Dresden, Berlin oder München vergleichen. Die Hängung nach Schulen richtet sich nunmehr nicht an den Vorlieben Einzelner aus. Vielmehr arrangieren angestellte Kunsthistoriker die Bilder nach wissenschaftlichen Kriterien. Die weitere Untergliederung, beispielsweise nach Gattungen wie Landschaften oder Stillleben, bestimmt dann auch maßgeblich die bauliche Konzeption neu errichteter Pinakotheken.
Anspruch und Pogramm nationaler Sammlungen beleuchten abschließend drei Beiträge. Auffallend stechen vor allem die Unterschiede zu Großbritannien hervor, wo sich niemals die Vorstellung durchsetzte, königlichen Kunstbesitz auf nationale Galerien zu verteilen. Die königlichen Sammlungen waren hier stets völlig unabhängig von staatlichen. Letztere waren darüber hinaus auch nicht mit dem Staatsapparat verknüpft, sondern von Anbeginn in das einzigartige System der Trustees eingebunden. 1753 entsteht mit dem „British Museum“ die erste nationale Sammlung in Europa.
Seit der Ablösung des Absolutismus zu Beginn des 19ten Jahrhunderts wird in Deutschland Kunst als gemeinschaftliches kulturelles Gut und als Werkzeug politischer Agitation wahrgenommen. Der Kunstraub unter Napoleon 1806 und die Rückführung der geraubten Güter ließen es nun geboten erscheinen, die Kunstwerke in Museen zu präsentieren. Das dazu errichtete „Königliche Museum“ in Berlin begründet einen neuen, auf die speziellen Ansprüche zugeschnittenen Gebäudetyp aus Säulenhalle und klassischem Kuppelbau mit Rotunde, der eine gleichmäßige Beleuchtung gewährleistet. 1830 öffnete der von Karl Friedrich Schinkel konzipierte Bau, das heutige „Alte Museum“ auf der Berliner Museumsinsel, seine Tore. Entgeltfrei zugänglich, sollte die Kunst erfreuen und belehren. Ästhetischer Genuss und Bildungsvermittlung gehörten von Anbeginn zu den wesentlichen Aufgaben des Museums. Kunstsammlungen waren damit als nationales Gut dem gesamten Volk zugeeignet worden; der Institutionalisierungsprozess nahm seinen Lauf. Die Ausbildung des Staates vollzog sich in Deutschland sowie weiteren Nationen über die integrative Kraft gemeinsamer Kultur, verbunden mit einer aktiven Kulturpolitik. Daher ist der politische Kontext für die Etablierung öffentlicher Sammlungen in Museen von fundamentaler Bedeutung.
Annemarie Gethmann-Siefert, Bernadette Collenberg-Plotnikov, Elisabeth Weisser-Lohmann (Hrsg.): „Kunst“ und „Staat“
Band II der von Annemarie Gethmann-Siefert herausgegebenen Reihe „Kunst als Kulturgut“
Verlag Wilhelm Fink, Paderborn 2011
318 Seiten, 32 Schwarzweiß-Abbildungen, 1 Schwarzweiß-Grafik, Preis 39,90 Euro |