| | Ottfried Dascher: „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“. Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger | |
Wie viele Meilensteine der Moderne, die heute in den großen Museen dieser Welt hängen, letztlich durch die Hände des Galeristen Alfred Flechtheim gegangen sind, ist heute wohl nicht mehr exakt nachzuvollziehen. Doch allein was Ottfried Dascher, bis 2001 Leiter des Nordrhein-Westfälischen Hauptstaatsarchivs, in seiner 500seitigen Biografie über den einflussreichsten deutschen Kunsthändler der 1920er Jahre an Picasso- und Léger- oder Braque-Gemälden erwähnt und in die Lebensgeschichte eines Kunstmarktberserkers einfädelt, kommt einem vor wie der Aufmarsch der Top-Kunstwerke dieser Zeit. Alfred Flechtheim besaß ein untrügliches Gespür für die Kunst. Georges Braques „Nature morte au violon“ von 1911 im Moderna Museet Stockholm, Pablo Picassos „Frau im Hemd“ von 1905, eines der letzen Bilder der sogenannten blauen Periode, in der Tate Gallery London oder Juan Gris’ „Stillleben mit Trauben“ in der Staatsgalerie Stuttgart – um nur einige zu nennen – stammen alle aus dem Hause Flechtheim. Flechtheims Galerie war Treffpunkt der Berliner Gesellschaft, der Avantgardekünstler und der Intelligenz ebenso wie bekannter Sportgrößen.
Selbst wenn der Mann mit den markanten Gesichtszügen als Figur der Zeitgeschichte im Berlin der goldenen 1920er Jahre schon längst so ein Werk wie dieses verdient hätte, kommt das Buch zur rechten Zeit. Denn heute, in Zeiten, in denen der Kunstmarkt boomt und zu einem Tummelplatz von Prestigesüchtigen, Kunstliebhabern und Investoren geworden ist, mag einem das Leben Flechtheims wie eine Parabel über Aufstieg und Fall eines Kunstbesessenen erscheinen. Es räumt mit dem Irrglauben auf, dass der Kunstmarkt frei von wirtschaftlichen und politischen Zwängen sei.
Daschers Biografie ist Chronik einer Galerie, aber auch eine Hommage an einen Galeristen, der Feuer und Flamme für die Moderne war und finanziell einige salti mortali vollführen musste. Es mag eine Legende sein, dass Alfred Flechtheim, der schon in den Jahren 1906/07 die progressiven Künstler aus dem Pariser Café du Dome zu seinen Freunden zählte, auf der Hochzeitsreise nach Paris im Jahr 1910 die Mitgift seiner Gattin Betti in Gemälde umsetzte und seine Sammlung erweiterte, aber sie ist bezeichnend. Kunst war ihm wichtiger als Geld. Er hat später Bilder verpfändet, in Zahlung genommen, als Sicherheit hinterlegt, nur damit der Kunstbetrieb weitergehen konnte. Auf eine solide Existenz als Getreidehändler hat er verzichtet. Die familiäre Getreidehandlung diente ihm eher als Depot für Werke von Wilhelm Lehmbruck, August Macke, Maurice de Vlaminck und Heinrich Nauen. Von hier aus verlieh er sie an Museums- und Kunstausstellungen wie etwa an die wegweisende Sonderbundausstellung in Köln.
Erst 1913 ließ Flechtheim den Status eines „marchand amateur“ hinter sich und gründete, angeblich mit stiller Beteiligung seines späteren Konkurrenten Paul Cassirer, in Düsseldorf die „Galerie für alte und neue Kunst“. Schwerpunkte waren die französische Moderne und der deutsche Expressionismus. Flechtheim drehte bald ein großes Rad, kooperierte mit Dresdner und Berliner Galerien. Sein Kompagnon in Paris wurde der Picasso-Händler Daniel-Henry Kahnweiler, der wiederum Flechtheim als verlängerten Arm nach Deutschland sah. Auf die anfänglichen Erfolge folgte die erste Niederlage. Die wirtschaftliche Flaute im Ersten Weltkrieg zwang Flechtheim 1917, seine Sammlung zu versteigern. Ohne Bilderfundus, aber schuldenfrei setzte er 1919 zur Wiedereröffnung an. Elf Ausstellungen präsentierte er in diesem Jahr in Düsseldorf unter anderem mit Ernst Barlach, Erich Heckel und Ernst Ludwig Kirchner – alle mit Katalog. In diesem Jahr übernahm er zudem die Alleinvertretung in Deutschland für Paul Klee, später auch für George Grosz und Renée Sintenis.
Flechtheim fühlte sich reif für die Reichshauptstadt. 1922 eröffnete er seine Galerie in Berlin, gab Grafikeditionen heraus, gründete die Zeitschrift „Querschnitt“ und bestimmte fortan noch stärker als bisher die Kunstdebatten dieser Jahre. Bedeutende Autoren wie Carl Einstein und Theodor Däubler schrieben für ihn. 1928 zeigte er in seiner Galerie die umfangreichste Ausstellung aller Zeiten zu Fernand Léger, kurz darauf eine umfassende Präsentation zu André Derain. 1931 organisierte er in seiner Galerie eine Retrospektive mit 70 Ölgemälden Wassily Kandinskys. Allesamt museumsreife Expositionen. Aus heutiger Sicht eher ungewöhnlich ist, dass er die Offerten immer mit Leihgaben privater Sammler ergänzte. Dascher zeichnet das Bild Flechtheims als schnell und rauschhaft aufgestiegenen Kunsthändler, der stets am Rande des Ruins schlitterte. 1923 brachten Inflation und die rasante Geldentwertung den Kunstmarkt fast zum Erliegen. 1929 stürzte der sogenannte Schwarze Freitag die gesamte Welt in eine Wirtschaftskrise. Wohl nur Flechtheims Netz mit Kooperationen in New York, Amsterdam und Rotterdam und seine Galeriebeteiligungen in Wien und Frankfurt retteten seine Existenz.
Das Schicksal des jüdischen Kunsthändlers ist aber auch ein Kapitel dunkelster deutscher Kulturgeschichte. Schon vor dem Antritt der Nazis war der wichtigste Galerist der deutschen Moderne antisemitischen Hetzen ausgesetzt. Den ersten handfesten Schlag aber erlebte Alfred Flechtheim im März 1933 in Düsseldorf. Mit einer Auktion alter und neuer Meister versuchte er seine Finanzmisere, die schon zum Verlust wichtiger Künstler geführt hatte, in den Griff zu bekommen. Sie wurde von Braunhemden gestört und letztlich wegen massiver Drohungen abgebrochen. Im Herbst desselben Jahres emigrierte Flechtheim erst nach Paris, dann nach London. Nur ein paar Gemälde hatte er rechtzeitig für eine Ausstellung in Zürich außer Landes bringen können. Als er 1937 in London an einer Blutvergiftung starb, war sein Eigentum, das laut Dascher aufgrund seiner waghalsigen Finanzierungsstrategien wohl gar nicht mehr sein Eigentum war, in alle Winde zerstreut.
Bis heute existiert ein großes Fragezeichen, wenn es um den Verbleib des Galeriebestandes und seiner Privatsammlung geht, die noch bis 1941, bis zum Freitod Betti Flechtheims, in Berlin existierte. Doch die Entflechtungen komplizierter Eigentumsverhältnisse und die Verfolgung neuer Spuren sind nicht Gegenstand dieser Biografie. Auch in der Frage, ob die Übernahme der Düsseldorfer Galerie durch Alex Vömel, den jahrelangen Geschäftsführer und Mitfinanzier, ein Akt der Arisierung oder der Übereinkunft war, bezieht der Autor keine Stellung. Die Biografie ist kein Enthüllungswerk. Ihr Wert liegt in dem sachlichen und faktenreichen Lebenspanorama eines Galeristen, der wie kaum ein anderer als Wegbereiter für die Kubisten und Expressionisten in die Geschichte einging.
Ottfried Dascher: „Es ist was Wahnsinniges mit der Kunst“. Alfred Flechtheim. Sammler, Kunsthändler, Verleger
Nimbus Verlag, Wädenswil, 2011
511 Seiten mit diversen Abbildungen, 1 CD mit den Katalogen der Galerie Flechtheim sowie den Titel der Zeitschrift „Querschnitt“, Preis 39,80 Euro |