 |  | Claudia Lingenhöl: Kleinbauten der Stadt Wien | |
Stehen Umspanntürme, Transformatorenhäuschen, Gartenpavillons, Wasserreservoirs oder Bildstöcke neuen Bauprojekten im Weg, verschwinden sie oft ohne größere Resonanz. Davon aufgeschreckt, geriet die ausgefallene Gattung vielfach typisierter Kleinarchitekturen schon vor einiger Zeit ins Visier von Forschern, Heimatschützern und Denkmalpflegern. Künstliche Grotten in herrschaftlichen Parks etwa erfordern ein hohes Maß an Pflegeaufwand. Identitätsstiftende Kioske müssen ständig wechselnden Verkehrsströmen und neuen technischen oder hygienischen Anforderungen genügen. Unübersehbar ist der Vandalismus bei Wartehallen an Haltestellen oder das Publikum im Umfeld von öffentlichen Toiletten. Dennoch stellen die letztgenannten eingeschossigen, zweckgebundenen, in vielen Varianten aufkommenden und teils originell gestalteten Kleinbauten wichtige Identifikationspunkte und Orte zur Befriedung alltäglicher Bedürfnisse dar.
Wie untrennbar sie mit der Entwicklung der Stadt in den letzten 200 Jahren verbunden sowie gestalterisch ihrer Entstehungszeit verhaftet sind, zeigt die kompakte Diplomarbeit von Claudia Lingenhöl über „Kleinbauten der Stadt Wien“ auf, die jüngst das österreichische Bundesdenkmalamt im Böhlau Verlag veröffentlichte. Kompakt konzentriert sich die Autorin auf Wartehallen, Bedürfnisanstalten und Kioske. Eingebettet in eine griffige vorangestellte Entwicklungsgeschichte in europäischen Metropolen widmet sich die Architektin und Kunstgeschichtlerin dann speziell und exemplarisch den Wiener Typen. Eine Zusammenstellung erhaltener Exemplare schließt sich an, wobei alle rund 70 erfassten Objekte am Ende zu einer übersichtlichen Gesamtschau samt Fotos und Kennzeichnung in einer Stadtkarte angeführt werden.
Den Anfang bestreiten Wartehallen. Deren Entwicklung setzte um 1879 mit längsrechteckigen Pavillons ein, die in hölzerner Leichtbauweise errichtet und mit sprossenunterteilten Verglasungen versehenen wurden. Seitdem entstanden bis hin zur einsetzenden Vollverglasung in den 1960er Jahren viele Varianten. Nachdem zur Behebung sanitärer Probleme Paris ab den 1830er Jahren die Vorreiterrolle bei der Errichtung von Pissoirs übernahm, zog Wien in den 1880er Jahren nach. Von den typisierten Eisenpavillons mit Lüftungslaterne und Zierfriesen verlief die Entwicklung zu heutigen kompakten Anlagen aus Sichtbeton, Stahl und Glas. Nachdem Martin Gropius im Jahr 1859 erstmals in Berlin neue Trinkhallen in der Form einfacher Flachdachbuden mit Verkaufsveranda errichten konnte, eroberten sie ebenso wie ab 1905 die von Alfred Grenander konzipierten Zeitschriftenpavillons mit ihrem ausdrucksstark geschwungenen Zuschnitt bald ganz Europa. Funktional in vielen Varianten und Typen mit diversen Angeboten ausufernd, eröffnet sich hier auch in Wien ein breites Feld der Konsum- und Wirtschaftsgeschichte, für das im Gegensatz etwa zu Brunnen oder Denkmälern recht wenig Gespür in der Öffentlichkeit aufgebracht wird. Die extrem temporär ausgerichtete, prozessuale Bauform brachte es mit sich, dass die Kenntnisse darüber schnell verrinnen und Unterlagen aufgrund aufgesplitterter Zuständigkeiten kaum noch aufzuspüren sind. Nur noch eine verschwindend geringe Anzahl blieb vom Abriss verschont, und lediglich eine Handvoll Exemplare sind heute denkmalgeschützt. Da verdient Lingenhöls Arbeit allein aufgrund des hohen Forschungsaufwands gebührende Beachtung, womit sie auch Kriterien und Argumente für den Erhalt in anderen Regionen entwickelt hat.
Wer sich der neuen Publikation der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg widmet, wird ebenfalls vom enormen Aufwand beeindruckt sein, den die Erforschung und Restaurierung der im 17. und 18. Jahrhundert errichteten künstlichen Grotten mit sich bringt. Basierend auf antiken Dekorationsformen, existierte diese Bauaufgabe bis 1850 nur im höfischen Sektor, bevor sie bis in die 1920er Jahre auch im bürgerlichen Bauwesen als Rückzugs- und Repräsentationsort Relevanz genoss. Der häufig im Grottenstil dekorierte Gartensaal von Schlössern, die sogenannte „Sala Terrena“, war eine eigenständig deutsche Form, wobei neben Tuffstein, Muscheln, Schildpatt, Mineralien die Verwendung von Glas eine speziell preußische Variante darstellte. Das Buch über künstliche Grotten beschäftigt sich dann auch überwiegend mit dem Grottensaal im Neuen Palais in Potsdam. Die mit 550 Quadratmetern größte, ab 1760 entstandene künstliche Grottenarchitektur konnte nach jahrelangen aufwendigen Analysen und Forschungen über die Herkunft der Materialien nunmehr vollständig restauriert werden.
Der unlängst wiederhergestellte, beeindruckende Repräsentationsort mit inkrustierten Natursteinboden in maritimer Bildsprache, grottierter Decke, plastisch aus Muscheln und Schnecken ausgeformten Meereswesen in der Volutenzone und umlaufend geschichteten Lagen aus Carrara-Marmor und Streifen aus Schlacken, Mineralien und Glasperlen enthält allein 23.000 Gesteine, Edelsteine oder Naturalien, die beim höfischen Nachwuchs Interesse an den Naturwissenschaften fördern sollten. Neben diesem grandiosen Meisterwerk werden weitere Parkgrotten und deren abgeschlossene oder noch aktuelle Restaurierung erläutert und dokumentiert, so die grottierte Terrassenmauer vor der Bildergalerie in Sanssouci, die Neptun-Grotte, die künstliche Grotten im Nordischen Garten, die Tunnelgrotte am Jungfernsee beim Neuen Palais oder Beispiele in Rheinsberg oder Paretz. Bei allen Objekten macht sich Bewunderung für den ungeheuren Aufwand breit, der mit der Erforschung und Wiederherstellung dieser Kulturdenkmale verbunden ist.
Claudia Lingenhöl: Kleinbauten der Stadt Wien
Studien zu Denkmalschutz und Denkmalpflege – Band 027
Böhlau Verlag Wien, 2023
284 Seiten, Paperback, Preis 49 Euro
Stiftung Preußische Schlösser und Gärten (Hrsg.): Künstliche Grotten des 18. und 19. Jahrhunderts in den preußischen Königsschlössern. Stil/Technologie/Erhaltung
Lukas Verlag Berlin, 2023
158 Seiten, Festeinband, 170 meist farbige Abbildungen, Preis 25 Euro |